Heft 
(1892) 70
Seite
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Shakespeare's Königsdramen von Richard II. bis zu Richard III. gl

aus dieser ungerechten Absetzung des Königs entstehen soll und in allen folgenden Stücken eintrifft. Der gestürzte König entledigt sich seiner Aufgabe, feierlich abzu­danken, mit so souveräner Ironie und würdevoller Ueberlegenheit denen gegen­über, die ihn stürzen, daß der Erste unter ihnen, der neugebackene König Heinrich Bolingbroke am Ende genug davon hat und die Anderen abhält, den hohen Unglück­lichen noch mehr zu quälen. Nachdem es geschehen ist, wird er ins Gefängniß abgeführt, und hier folgt die ergreifende Scene des Abschieds von seiner Frau, die in die Verbannung geschickt wird und mit der er hier im Stücke zum ersten Male zusammen auftritt. Der letzte Act des Stückes enthält hauptsächlich nur den Anfang der Regierung des neuen Königs, der sich mit wohlerwogenen Beweisen von Strenge und Gnade als tüchtiger Regent bewährt und sich doch in seiner unrechtmäßig angemaßten Herrschaft nicht Wohl fühlt. Er bildet damit die Vorbereitung zu dem folgenden Stücke. Richard tritt nur noch auf, um zwar nicht im Aufträge, aber doch auf den Wunsch Heinrich's im Gefängniß ermordet zu werden. Er ist eben dabei, in geistreicher Betrachtung sich selbst und sein Schicksal abschließend zu zergliedern. Dann kommt noch ein alter, treuer Stallknecht und erzählt ihm, wie Bolingbroke sein altes Leibpferd zur Krönung geritten hat. Dann kommt sein Wärter und bietet ihm offenbar Gift an. Da braust er auf und schlägt ihn und verflucht zum Schluß den Räuber seiner Krone. Dann kommen die Mörder, und nun ist er zuletzt noch mannhaft tapfer, entreißt einem sein Schwert und verkauft fein Leben theuer.

Ich kann nicht unterlassen, bevor ich mit diesem Stücke abschließe, die Ähn­lichkeit desselben mit einer anderen, uns Allen bekannten classischen Tragödie hervorzuheben, auf die ich vorhin schon hingedeutet habe, Schiller's Maria Stuart. Maria und Richard büßen mit dem Verlust ihrer Krone und ihres Lebens die Schuld einer leichtsinnigen Jugend und Regierung; aber indem sie es thun und diese Folgen des Vergangenen nicht mehr zu ändern sind, reinigen sie sich innerlich von ihrer Schuld und erheben sich nun erst recht in königlicher Würde über ihre Gegner, die durch ihre größere Tüchtigkeit den Erfolg auf ihrer Seite haben, aber mit der erniedrigenden Zugabe, daß sie dazu nicht ohne unedle Thaten haben gelangen können. Ich wüßte kaum irgend ein anderes Werk der tragischen Kunst, in welchem so ausdrücklich das zur Geltung käme, was Schiller meint, wenn er Shakespeare redend einführt von dem

großen, gigantischen Schicksal,

Welches den Menschen erhebt, wenn es den Menschen zermalmt."

Und ich muß nun sagen, wenn wir ja gewiß auch, wie Rümelin, gern ver­meiden wollen, den Ruhm einer fremden Größe wie Shakespeare auf Kosten des Lobes unserer eigenen großen Dichter zu verherrlichen, daß mir eine solche Ver­gleichung ebenbürtiger Leistungen auf demselben Gebiete fruchtbarer zu sein scheint, als die Gegenüberstellung so durchaus verschiedenartiger Dichtungen, wie die Dramen Shakespeare's und zarte lyrische Lieder von Goethe, die aber gar keine wirklichen Vergleichungspunkte darbieten. In der Komödie freilich wird es auf alle Fälle dabei bleiben, daß wir dem großen Briten in unserer Literatur nichts an die Seite zu stellen haben, da wir von unseren großen Dichtern in dieser Art nichts besitzen. Es muß ja auch nicht Einem Alles zu leisten beschieden sein.

Deutsche Rundschau. XVIII, 4. 6