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Deutsche Rundschau.
IV.
Dies führt uns zu dem letzten Abschnitte unserer Betrachtung, über den vielleicht am meisten zu sagen wäre, aber am wenigsten zu sagen nöthig ist, weil alle Welt darin übereinstimmt, daß wir es hier mit der gelungensten Komik Shakespeare's zu thun haben. Von den drei Stücken, die auf Richard II. folgen, nennen sich zwar die zwei ersten noch nach dem regierenden König Heinrich IV., eben jenem Bolingbroke, der Richard abgesetzt hat. Aber die Hauptperson ist schon in ihnen sein Sohn Prinz Heinrich, nachher im letzten als König Heinrich V. Auch Rümelin spricht es aus, daß die Gestalten dieses Prinzen und der ihn umgebenden Personen immer den größten unverwüstlichen Reiz ausüben werden, und Wenn er auch zur Erklärung dieser Schilderung mit getheilter Empfindung hervorhebt, daß Shakespeare Wohl in solchen Kreisen aristokratischer junger Herren nur allzu gut Bescheid gewußt habe, so thut das unserem Vergnügen an denselben keinen Eintrag. Denn wir haben nun einmal, wie die Engländer, ja noch mehr als sie, die nationale Liebhaberei, nicht nur unseren Fürsten und Herren vom Adel, sondern in der Form der beliebten akademischen Freiheit auch großen Kreisen der Gebildeten eine Jugendentwicklung zu gönnen, in der sie manchmal etwas stark über die Schnur Hanen dürfen, und uns doch darauf zu verlassen, Wenn nur die Würde des sittlichen Charakters bewahrt bleibt, daß sie hernach im Leben ihren Platz mit Ehre ausfüllen. Und für so eine Art von freier Entwicklung der Jugend ist Prinz Heinrich im ersten Theile von Heinrich IV. ein ideales Prototyp. Rümelin meint zwar in Bezug auf beide Theile von Heinrich IV., ähnlich wie Gewinns über den zweiten und dritten von Heinrich VI., die Handlung dieser Geschichte ziehe sich durch die zehn Acte derselben etwas schleppend und ohne Einschnitte durch. Aber ich muß sagen: sowohl die Gruppirnng der Personen als auch dessen, was geschieht, ist im ersten Theile so unvergleichlich knapp und einheitlich zusammengefaßt, daß derselbe eben deshalb seit Menschen Gedenken als eine der ersten Komödien aller Zeiten anerkannt und auch auf unseren großen Bühnen eingebürgert ist, während der zweite allerdings wieder sehr dagegen absällt.
Die Composition des ersten Theiles dreht sich natürlich ganz um das Bild des frischen, fröhlichen, übermüthigen jungen Prinzen. Er treibt sich in einer Gesellschaft von zum Theil sehr fragwürdiger Respectabilität in Kneipen und auf der Landstraße herum und betheiligt sich, wenn auch immer ein wenig im Hintergründe, an tollen Streichen gegen die gute Gesellschaft, so daß er z. B. bei einem Raubanfall auf reisende Kausleute mit einem Freunde ganz in der Nähe ist und hinterdrein wieder die eigenen Cumpane in Verkleidung überfällt und ihnen zum Schabernack die Beute entreißt, die sie den Kausleuten abgenommen haben und die er diesen nachher ersetzen läßt. Vor Allem aber herrscht in diesem seinem Kreise die Art von Humor, die wir alle in der Form des Bier- und Katerwitzes der Stndentenkneipe und Bierzeitung kennen, und für welche die heiteren Geschichten vom Kellner, der „gleich, Herr, gleich!" ruft, und dergleichen immer die elastischen Vorbilder bleiben werden. Er muß dann seine Cumpane auch zuweilen mit seiner Prinzlichkeit gegen die Polizei in Schutz nehmen. Daneben verbummelt er seine Pflichten gegen den Vater König und seinen Hof und