Heft 
(1892) 70
Seite
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Shakespeare's Königsdramen von Richard II. bis zu Richard III.

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Der Inhalt dieses Stückes ist freilich recht einfach. Heinrich leistet nun als König, was Niemand von ihm erwartet hat, wozu aber die Fähigkeit als Kern seines Charakters schon in ihm lag. Er thut es in der einfachsten Form, in der sich ein großer König als solcher vor aller Welt bewährt, im glücklichen Krieg gegen einen auswärtigen Feind. Und er charakterisirt sich nun nicht mehr gegenüber Anderen in seiner Umgebung, sondern als idealer Typus seiner Nation und mit ihr gegenüber den Franzosen. Percy und Falstaff sind todt. Ein Paar Verschwörer werden noch schnell vor ldem Ansrücken in den Krieg hin­gerichtet, darunter der Vater des Port, der nachher als Prätendent gegen Heinrich VI. auftritt. Einige schwache Spießgesellen Falstaffs machen sich auch im Feldzuge noch als alberne, aufgeblasene Krakehler bemerklich. Aber im Ganzen herrscht in der Armee ein Geist der Kameradschaft und strammen Disciplin, der sich fast wie ein frühes Vorbild des Gedankens unserer allgemeinen Wehrpflicht ausnimmt, zu der es freilich England bis heute nicht gebracht hat, und dieser Geist verkörpert sich in König Heinrich. Die Franzosen haben, ebenso wie seine Leute zu Hause, wenig von diesem Kneipbruder erwartet und glauben ihn ungestraft reizen zu dürfen. Er überlegt sich ruhig den gerechten Grund zum Kriege, der in seinen Erbansprüchen an Theilen von Frankreich liegt. Er führt den Krieg mit Vorsicht, aber wenn er ins Feuer kommt, auch mit stürmischem Draufgehen. Die Franzosen in ihrem frivolen Uebermuth höhnen ihn fortwährend und glauben ihn schon zu haben. Er aber geht mit ruhigem Ernst und festem Gottvertrauen in den ungleichen Kampf bei Azincourt, und er stärkt die Seinigen, hoch und niedrig, in demselben Sinne der opferfreudigen Todesverachtung. Launig, wie in den Tagen seiner lustigen Jugend, geht er in der Nacht vor der Schlacht im Lager umher und unterhält sich mit Officieren und Gemeinen so gemüthlich und kameradschaftlich und ist so ganz nur Einer von ihnen, die hier heute mit ihm ihre Haut für ihr Land dran­wagen, Alle für Einen, Einer für Alle, wie wir, und dann führt er sie schneidig zum Siege. Nachdem die Franzosen zu Kreuze gekrochen sind und Frieden machen, schließt das Stück, wie eine echte und gerechte Komödie oder Lustspiel, damit, daßsie sich kriegen", nämlich der stramme, soldatische englische König und die zarte, coquette. französische Prinzessin mit der Aussicht auf die Vereinigung beider Reiche unter ihren künftigen Leibeserben.

Ist nun also auch im Ganzen der dramatische Gehalt des Stückes nicht sehr stark geladen, so wird dies durch das Vollgefühl der patriotischen Befriedi­gung, mit dem es erfüllt ist und abschließt, für den Dichter und seine Lands­leute reichlich ausgewogen, und auch wir können Wohl diese ihre Freude an dem flotten Prinzen Mitempfinden. Haben wir doch vor zwanzig Jahren dasselbe in freudigem Stolz miterlebt, diese ruhige Sammlung unserer Volkskraft gegen den Uebermuth der Franzosen mit ihremSpaziergang nach Berlin" und ihre Niederwerfung auch da, wo sie einmal in der Uebermacht waren, wie bei Mars la Tour und Belfort. Und wenn wir ein Jahrhundert weiter zurückblicken, gedenken auch wir eines Königs, von dem die Welt anfangs wenig erwartete, besonders sein alter besorgter Vater, und der dann, groß in Krieg und Frieden, den Grund zu unserer nationalen Größe gelegt hat, als der einfacheerste Diener des Staates", ein leuchtendes Vorbild für seine jetzigen Nachfolger, unsere neuen deutschen Kaiser.