Heft 
(1892) 70
Seite
87
Einzelbild herunterladen

Lin Jahr bei den Maris.

Briefe aus den tunesischen Bergen.

I.

Kef, 30. September 188 . .

Man sagt, wenn das Auge eines Menschen, der etwas heiß wünscht, auf das erste Viertel eines neuen Mondes fällt, so geht ihm der gehegte Wunsch sicher in Erfüllung. Ich weiß nicht, ob ein günstiger Mond am Himmel stand, als ich vor zwei Jahren vor den Thoren von Kairuan mit so verlangenden Blicken nach dem blauen Gebirge sah, das dort den Horizont gegen Westen um­schließt. Unverhofft ist mir aber gewiß das Glück in den Schoß gefallen, daß ich die abgelegene Bergwelt, die der Tunesier die Hamada nennt, nicht nur sehen, nein, sogar für ein ganzes Jahr bewohnen soll. Die erste Etappe der Reise liegt hinter mir, ich bin in Kef, dort wo der Weg ins Gebirge führt. Gestern, bei Dunkelwerden, war ich in Tunis eingetrosfen. In der kleinen Straße, an der das Haus liegt, wo ich die Nacht verbringen sollte, hatte schon alle Welt Feierabend gemacht. Der Nachbar Tischler stand im friedlichen Gespräch an der Thüre des Nachbars Weinhändler, der sentimentale Schuhmachermeister hatte seinen niedrigen Arbeitsschemel aus die Straße geschoben und sang sich zur Guitarre ein lautes voglio morirs", wozu der musikalische Lehrling aus der Mandoline accompag- nirte. Vor dem Hause fand ich den arabischen Nachtwächter Schafai, den mageren Alten, der seine Nächte hustend aus einer Steinbank verbringt. Als ich ihm das Geschäft des Weckens auftrug und zugleich das Ziel meiner zu unternehmenden Reise verrieth, glitt ein Freudenstrahl über sein eingefallenes Gesicht. Ich mußte ein langes Lob über die Vorzüge meines neuen Wohnortes anhören, über seinen Reichthum an Grün und frischen Quellen und über seinen Winter mit Schnee und Kälte alles Jugenderinnerungen, die der einstige Karawanenführer voll Redseligkeit vor mir auskramte.

An der Thürschwelle erwartete mich Adalgisa, die piemontesische Magd, die mich in die Berge begleiten sollte, eine kleine Person in viel zu langem, grünen Kleide und, nach ihrer Haarfrisur zu schließen, dem Kamm und der Bürste systematisch abhold. Ein freundliches Wesen mit hochromantischer Vergangenheit. Wie ich