Heft 
(1892) 70
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Deutsche Rundschau.

zu diesem Weltwunder kam, das sich gleich bereit erklärt hatte, mir in die Einsamkeit zu folgen, ist nicht in drei Worten zu sagen. Die Geschichte ist so orientalisch verwickelt, die Mitspielenden sind so zahlreich, und das Ganze gleicht in dem Maße einem Lustspiel, daß, wollte ich es zum Besten geben, man mir Vorwersen könnte, es sei Alles Erfindung oder Zusammenstellung aus allerlei Erlebtem, hier zur Würze meiner Reisebeschreibung benutzt; wie ja auch mancher Maler, um des Effectes willen, auf seinem orientalischen Bilde zum Kameel am Thore noch eine Palme hinzuphantasirt, die in Wirklichkeit einige Meilen davon entfernt wächst. So will ich nur sagen, daß eine unglückliche Liebe Adalgisen zur Weltentsagung in die Abgeschiedenheit treibt, und daß sie mit den besten Vorsätzen gegen künftige Versuchungen zu mir zieht.

Meine kleine Ausrüstung für die dreitägige Reise zu Wagen und zu Pferd war bereit, die Einrichtung für Haus und Küche schon seit Tagen auf zwei­rädrigen Karren unterwegs. Ich muß gestehen, daß beim Anblick von Reit­kleid und hohen Stiefeln, Sattel und Zaumzeug mir die Gefühle Peter's aus dem bekannten Gedicht verständlich wurden, der da meinte,daß nur die Fremde Leute macht".

Die Nacht war trotz der schon vorgerückten Jahreszeit drückend schwül. Ungeduld, Erwartung und Moskitos hielten mich lange wach, und als ich eben die Augen zugethan hatte, mußte es dem Schafai einfallen, mich durch lautes Donnern an der Hausthür und den Ruf:Gib mir, was mir gebührt," an ein versprochenes Trinkgeld zu erinnern. Endlich schlug die Uhr vier, der malthesische Kutscher knallte unten mit der Peitsche, es war Zeit, sich nach dem französischen Bahnhof aufzumachen. Schlaftrunkene Reisende in bunter Tracht, den Burnus übers Gesicht gezogen, im Kreise hockend, warteten gleich uns aus den Frühzug, der um fünf nach der algerischen Grenze abgeht. Wir sollten ihn bis zu der Station Souk-el-Arba benutzen, mit der Diligence die Reise nach dem Berg­städtchen Kes fortsetzen, um dann unter männlicher Führung den zweitägigen Ritt in die Hamada zu unternehmen.

Als der Zug aus dem Tunnel dicht hinter Tunis heraustrat, fing die Morgendämmerung an, ihre ersten Strahlen zu werfen. Bei den Gärten von Manuba, dort wo die arabischen Großen ihren Winterausenthalt nehmen, wurde der Himmel hell, ein röthlicher Schimmer lag über der Ebene und den Bergen und erleuchtete den antiken Aquäduct am Horizont in den zartesten Tönen. Die Luft fing an zu flimmern, die Farben spielten ins Gelbliche, die Sonne stieg klar und majestätisch aus und schien einen glühenden Tag zu versprechen.

Eisenbahnfahrten sind dieselben in der ganzen Welt: Gleichförmigkeit in der banalen Ausstattung der lang angereihten Waggons, in dem störend regelmäßigen Rhythmus des Rädertones, in dem eiligen Vorüberfliegen des Landschastsbildes. Alle Details in Pflanze und Stein, Formen und Farben des durcheilten Weges verschwimmen vor dem Auge des Reisenden. Ist er nicht geübt in der Kunst, das so hastig Gebotene zu erfassen, so findet er immer nur das wieder, was ihm bekannt erscheint; er sieht die Welt eben durch die Scheibe eines Waggonfensters, und das ist das schwächste aller Gläser.