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Deutsche Rundschau.
tiefe Höhlen ins Gestein gegraben, die von Geiern und Adlern bewohnt sind. Gegenüber, an einem natürlichen Felsenthor, hat ein Hirt seinen Wohnsitz aufgeschlagen und kauerte stöteblasend im Schatten desselben. Der Morgen war herrlich, überall Lerchengesang, rauschende Bäche, Pinien und Eichen im frischen Grün, darunter blühendes Haidekraut in Menge. Nach einer Stunde war Elles erreicht. Wir riefen am Ausgang des Dorfes einen pflügenden Beduinen an, um uns den Weg zu weisen unter den vielen, die die Ebene durchkreuzen und trabten noch zwei gute Stunden, ehe die Ruinen von Zensour vor uns lagen. An einem Bogen von Riesendimensionen machten wir Halt, banden unsere Pferde an und theilten das Frühstück. Ich kann sagen, daß nirgends in der Welt man so gute und glückliche Stunden verlebt als in dieser afrikanischen Einsamkeit, unter freiem Himmel, an einem klaren Herbsttag. Der Gedanke an den grauen nordischen Himmel, an das Treiben der Großstädte, an die moderne Hast, mit der dort so Mancher sein Leben dahinbringt, hebt nur die Freude an der Ruhe, Stille, Unberührtheit und Größe dieser wahren Natur. — In einem munter herantrabenden Reiter erkannten wir Freund Bel-Kassem. Er mußte sich zu mir setzen, ich machte eine Skizze als Erinnerung an den schönen Tag, und dann gesellten wir uns zu einem Häufchen Araber, die in einiger Entfernung Heuschreckeneier sammelten und aufschichteten, um sie dann zu verbrennen — ein Dienst, den ein Jeder thun muß, um der drohenden Landplage vorzubeugen. Schon früh hieß es wieder ausbrechen, um vor Nacht nach Haus zu gelangen. Wir ritten noch im Kreise um die großartige Trümmerstätte, bewunderten die schön gefügten Steine eines Palastes, dessen Mauern fast gänzlich erhalten sind, und eilten dann mit Bel-Kassem nach Elles zu. Die Sonne sank, als wir an der Mühle des Dorfs hielten und im Kreise der ländlichen Gesellschaft ein Täßchen Kaffee trinken mußten — erst bei dunkler Nacht kamen wir oben an, von unfern Pferden über manchen schmalen Steg sicher getragen.
So vergehen die Tage mit Umherstreifen in Berg und Thal. Heute sind wir wieder weit draußen gewesen und haben inmitten der Hochebene von Macter einen antiken Tempel entdeckt, den die Araber „das steinerne Hans" nennen, und weiterhin an einem malerischen Bach eine cyklopische Burg, von Cactus dicht verwachsen, wie Dornröschens Schloß. — Aus jedem Schritt sind die Römerstraßen erkennbar, die einst die großen Städte Macter, Mididi, Suakar und Zensour verbanden. Mancher Mosaikrest tritt zu Tage, zumal wenn frischer Regen den Staub hinweggewaschen hat, jede Bodenerhöhung zeigt die Spuren einer einseitigen Befestigung. Im Thal sehe ich von meinem Fenster aus die Ruinen eines Aquäducts. Wir sind zu Fuß bis hinunter gestiegen über Stock und Stein, ein hohler Baumstamm liegt als Brücke über den Bach, der Weg ist weit und beschwerlich.
Ob je eine Menschenseele diese in den Felsen gefügten Bögen besuchte? Es blühen schon Erica, Gänseblümchen und brennende Liebe; die Meerzwiebel bekommt Riesenblätter. Dabei ist es Abends bitter kalt, und wir Heizen unfern Ofen mit großen Knorren von Olivenholz, das uns aus Kameelsrücken aus dem Thal gebracht wurde.