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Deutsche Rundschau.
Fräulein von Lussac zu hindern. Aber das Schicksal hat ihr schon das Mittel zur Rache in die Hand gegeben. Der junge Mann, mit dem sie in demselben Eisenbahnwagen nach Paris gefahren, der sie an seinen Freund den Advocaten Paul Benoit gewiesen hat, ist der Bruder der eben verheiratheten Jeanne. Ahnungslos schmuggelt er sie in das Haus ihrer Schwester, die ihre Flitterwochen in einer Villa bei Florenz verlebt. Da Herr von Triseuil in Geschäften aus eine Weile verreist ist, steht Mar- gueritens Eintritt kein Hinderniß entgegen. Aber die Galanterien und Freiheiten, die sich ein Hausfreund gegen die neue Gesellschafterin erlaubt, entzünden die Leidenschaft und Eifersucht des jungen Lussac; er beschließt sie zu heirathen und wird durch ihre Geschichte, die sie ihm erzählt, nur noch mehr in seinem Entschlüsse bestärkt. Seine Schwester hält ihn von dem thörichten Streich ab und beschleunigt dadurch Margueritens Rache. Denn inzwischen ist Triseuil zurückgekehrt, und Marguerite bezeichnet ihn vor allen Andern als ihren Verführer und treulosen Liebhaber. Bis zu diesem Schluß des dritten Actes hat das Stück, wenn auch von zu vielen Episoden durchsetzt und um seinen raschen Verlauf gebracht, doch eine feste und folgenrichtige Geschlossenheit; der vierte Act dagegen nimmt sich wie ein Nothbehelf aus: Marguerite heirathet hinter der Scene einen uns unbekannt bleibenden englischen Lord, Roger tröstet sich mit einem Backfisch, und das Ehepaar Lussac, das in Scheidungsklage miteinander liegt, fällt sich, durch die List Paul Benoills, der den Brackenburg als Advocat spielt, geschickt zusammengebracht, gerührt und versöhnt in die Arme. In der Erfindung und Führung der Handlung, in der Charakteristik der Figuren muthet das Ganze trotz der Glanzlichter, die Oscar Blumenthal dem Dialog aufgesetzt hat, indem er einen über das Durchschnittsmaß hinaus geistreichen und witzboldigen Grasen Chavignh zum Chorführer des Stückes macht, ein wenig altmodisch an, wie ein letzter Nachklang Dumas'scher Komödien. Der unbefriedigende Schluß, der die Erwartungen des Publicums täuschte, und das Tragische des Vorwurfs in die Alltagskomik umzukehren suchte, wurde dem Lustspiel verhängnißvoll. Ungleich frischer, natürlicher, harmloser und unmittelbarer gab sich der Schwank „Die Großstadtluft". Ein Berliner, den eine Ehe aus Liebe nach einem unmöglichen, aber desto drolliger als Schilda und Krähwinkel geschilderten Städtchen in der Provinz verschlagen hat, vergeht vor Heimweh nach der Berliner Atmosphäre. Allerlei spaßige und possirliche Begebenheiten, die nach der Meinung der Honoratioren und der Damen des Lesekränzchens gegen Sitte und Anstand verstoßen, machen ihm das längere Verweilen in Ludwigswalde unmöglich; er rettet sich nach Berlin und zieht seine kleine Frau und den Schwiegervater nach sich. Weder in der Fabel noch in den Figuren offenbart sich eine größere oder feinere Originalität; die Theatererinnerung und die Theaterschablone herrschen vor, aber das Handwerkszeug wird von zwei Meistern der Technik geübt, und wenn dem Schauspieler Kadelburg einmal nichts besonders Gescheidtes einsallen will, die Handlung weiter zu führen, verstreut der Satiriker Blumenthal umsomehr Witzworte, Sticheleien und ironische Scherze, daß in dem Vergnügen an diesem blitzenden, farbigen und prasselnden Feuerwerk jede kritische Einwendung verloren geht. Wir waren zwei Monate lang von der Bühne her so verängstigt und vergrämt worden, daß diese Naivetät und Harmlosigkeit, die bei alledem ihren modernen Chic bewahrte, wie eine Erlösung aus wüsten Träumen wirkte. Das Lachen an sich kam hier wieder zu Ehren. Dabei soll das Geschick in der Zusammenstellung und Steigerung der komischen Scenen, das Anmuthige, immer das schickliche Maß Haltende des flotten Dialogs als künstlerisches Verdienst der beiden Autoren nicht unerwähnt bleiben.
Einen eigenen Reiz gewährte die Aufführung der sizilianischen Volksscene „6 a- valltzria rustieanafi von Giovanni Verga am Freitag den 4. December. Die stürmisch leidenschaftliche Kraft, die den Inhalt eines dreiactigen Trauerspiels in wenige Auftritte verständlich, überzeugend, ergreifend zusammengedrängt hat,, erwies sich in dem Drama noch mächtiger, noch siegreicher, als in der Oper Mascagni's. Die Treulosigkeit und das Stutzerthum Turiddrcks, die düstere eifersüchtige Wuth Alfichs, der Schmerz und die Rache der verlassenen Santuzza, die Koketterie und der Leichtsinn