Heft 
(1892) 70
Seite
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Deutsche Rundschau.

Sein Ausfall gegen Ibsen und Tolstoi entbehrt wie die Fabel seines Stückes der Kühnheit und der Schärfe. Ein junges Mädchen Sabine Berg bringt in eine durch die moderne Gesellschastssucht und die pessimistisch angekränkelte Empfindung Etwas wie den Sonnenschein des Frühling's, des lauteren, wärmeren Gefühls und bildet dadurch den Gegensatz zu der Sonne Oswalds aus denGespenstern", die ein geckenhafter, überspannter Maler Victor Holle malt. Taktlos macht er sie zur Unterhändlerin zwischen ihm und der Frau von Hohenrade, in deren Haufe sie als Erzieherin lebt: sie soll ihrer Herrin den Fächer bringen, aus den der Maler eine Liebeserklärung geschrieben hat. Aber eine andere Frau, der Holle ebenfalls den Hof macht, öffnet den Fächer und überhäuft die ahnungslose Sabine mit kränkenden Vorwürfen, weil sie die Verse aus dem Fächer für eine Botschaft an das Mädchen hält. Diese Frau Dora Alexis, eine Weltdame niedrigster Art, ist die Mutter Sabinen's, die ihren Gatten und ihr Kind schmählich verlassen und nach mancherlei Irrfahrten zum zweiten Male geheirathet hat: Sabine, die ihr Vater mit sich nach Amerika genommen hat, ist dort herangewachsen und erzogen worden und hält ihre Mutter für längst gestorben. Es kommt auch zu keiner rechten Aussprache zwischen der Mutter und der Tochter; Frau Dora verläßt eilig, mit einem sentimen- talischen Rückblick aus ihr Leben, die Hauptstadt, und Sabine verlobt sich mit dem Rechtsanwalt Eggstädt, dem der Dichter das Wort gegen die Verzweiflungskraukheit der Zeit gegeben. Für die schwierigen Fragen, die das Schauspiel unwillkürlich an­regt, ist das Gespinnst der Fabel zu dünn und die Charaktere nicht tiefgründig genug; Paul Lindau hat mit einem heiklen Stoffe, statt ihn zu erschöpfen, nur gespielt und fährt vor dem Abgrund, den er sich selbst gegraben, dem traurigen und schwer auszu­gleichenden Gegensatz zwischen Mutter und Tochter, rasch zurück, als er einen Blick in seine Tiefe wirft. Aber aus der Bühne hat das Halbe niemals einen Erfolg, dem Stücke bleibt trotz gefälliger Einzelheiten die Anziehungskraft versagt, weil es vor den Konsequenzen feiner Voraussetzungen zurückschreckt. Aber es wirkt in alll seiner Schwächlichkeit doch natürlicher und frischer aus mich als das Schauspiel in drei Auszügen von Franz von SchönthanDas goldene Buch", das am Sonn­abend, den 17. October aufgeführt wurde. Diese hohle Verstiegenheit beweist das Unheil, das die modernen philosophischen und literarischen Lehren auch in witzigen Köpfen anzurichten vermögen. Eine tragische Geschwollenheit und Verbohrtheit, um die Ibsen den Schöpfer Striese's beneiden könnte! Ein polnischer Abenteurer Stanislaus Lasansky sammelt in einemgoldenen Buche" alle Großthateu adeliger Familien und lebt inzwischen aus Kosten der Gefeierten. Dabei ist er auch aus die Familie der Grafen Bretelles gekommen, und als er von dem jungen Grasen, derin der Jetztzeit in einer deutschen Residenz" einen Ministerposten einnimmt, schnöde zurückgewiesen wird, enthüllt er dem adelsstolzen, hochsahrenden und unangenehmen Herrn, daß sein Vater gar kein Gras Bretelles, sondern nur der Kammerdiener des letzten in Genf verschollenen und verstorbenen Grafen ist. Und das ist keine Flunkerei. Hinter der Scene stirbt der Kammerdiener-Gras, der es ineinem deutschen Königreich" bis zum Landjägermeister gebracht hat, aus Angst vor der Entdeckung und dem Zuchthaus. Seine Tochter, die wegen der Mißheirath mit einem Professor aus der adeligen Familie gestoßen wurde, hat sich indessen als eine Fanatikerin der Wahrheit von dem Sterbenden sein Schuldbekenntniß unterzeichnen und Verbriesen lassen. Als die Leiche des Kammerdieners mit allem Pomp bestattet werden und im Austrage des Monarchen eine königliche Hoheit an der Feierlichkeit theilnehmen soll, treibt die Tochter ihren Fanatismus so weit, den verstorbenen Vater mit dem Papier in der Hand vor allen Anwesenden des Betruges anzuklagen. Ihrem Bruder, der sich anfänglich gegen die Tücke des Schicksals wehren und in seiner Stellung behaupten wollte, bleibt nun nichts Anderes übrig, als aus Titel, Raug und Würden zu verzichten. Da ihn der Verfasser nicht mit Anstand weiter leben lassen kann, wird er in einem Duell von einem Premier-Lieutenant, von dem wir nur den Namen erfahren, tödtlich verwundet und stirbt aus der Bühne in den Armen seiner Frau und seiner Schwester als unfrei­williger Märtyrer der Wahrheit. Wie man aus diesem Umriß des Stoffes sieht, ist