Heft 
(1892) 70
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Die Berliner Theater.

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das Schauspiel eine romantische Kriminalgeschichte, dem Jbsenffche Gedanken und Grillen als Psropsreiser sehr zu ihrem Schaden eingeimpst sind.

Mehr aus der modernen Bewegung heraus hat Ludwig Fulda sein Schau­spiel in vier AuszügenDie Sklavin", das am Sonnabend den 31. October zum ersten Male zu einem kurzen Leben aus den Brettern erschien, ergriffen und ge­staltet. Anknüpfend an eine Schrift John Stuart MilllsDie Hörigkeit der Frau", die im Ausgang der sechziger Jahre Aussehen machte, sucht er das Sklaventhum einer zartbesaiteten Frau an der Seite eines rohen Gatten, ihre Rechtlosigkeit vor dem Gesetz ihm gegenüber, den gegen die Sitte verstoßenden Entschluß, zu dem sie durch ihre hoffnungslose Lage gezwungen wird, zu entwickeln. Der Stoff hat zweifellos einen dramatischen Kern, aber er bleibt in Fuldas Stück in der Schale stecken. Eugenie ist die Gattin des Weinhändlers Waldeck, eines Haustyrannen und Knoten. Wenn er die Frau gut nährt und kleidet und zuweilen reich beschenkt, glaubt er als Entgelt dafür die schlimmsten Magddienste von ihr fordern zu dürfen. Eine resolute Frau würde den Grobian bald durch noch größere Grobheit gezähmt haben; die sensitive Eugenie hat, besonders nach dem Tode ihres Kindes, jeden Muth zum Widerstande verloren. Zu ihrer übergroßen Empfindlichkeit gesellt sich zuletzt noch der physische Widerwille gegen die Zärtlichkeit ihres weintrunkeuen Mannes, und sie flüchtet aus seinem Hause zu ihren Eltern. Der Advoeat, an den sie sich wendet, die Scheidungs­klage einzureichen, räth ihr ab, da kein gesetzlicher Grund zur Trennung vorläge, und ihr Mann erklärt ihr, daß er nie in die Scheidung einwilligen würde. Verzweifelnd, da sie keine Rettung aus ihrer Sklaverei sieht, will sich Eugenie in den Fluß stürzen. Ein langjähriger Freund, den sie heimlich liebt, der Baumeister Lukas, erscheint als der Retter und erklärt ihr seine Liebe. Beide werden in freier Neigung der Welt trotzen, sich genügen und das Töchterchen aus Lukas^ erster Ehe zu einem besseren Loose, als zu der Hörigkeit der Frau erziehen. Das Unerquickliche der Ehestands- seenen zwischen Waldeck und Eugenien, das Unfeine in der Liebeserklärung des braven, aber täppischen Lukas, das Uebertriebene und künstlich Ausgebauschte des Schlusses thun der Wirkung und der Wahrscheinlichkeit empfindlichen Eintrag. Der Verfasser hoffte mit der freien Liebe einen besonderen Trumpf auszuspielen, aber das Publicum traute seiner schwächlichen, zum Tode gequälten und gehetzten Heldin weder einen solchen Schritt zu noch hielt es denselben für nöthig. Wenn Frau Eugenie mit ihrem zukünftigen Stiestöchterchen den Winter an der Riviera verbringt, wird der bär­beißige Weinhändler schon aus eigenem Interesse in die Scheidung willigen; er kann ohne Haussklavin nicht bestehen. Durch die breite Ausmalung des Nebensächlichen, der Rohheit des Mannes und der Zimperlichkeit der Frau aus der einen, dem weiner­lichen Gebühren und der grauen Dürftigkeit der Eltern Eugeniens, die an die alten Volkart's in HauptmamllsEinsame Menschen" erinnern, aus der anderen Seite, wird der an sich dünne Faden der Handlung noch mehr in die Länge gezogen. Statt die Scenen zu verdichten und zu steigern, wiederholen sie sich in demselben trüben Farbenton. Von den vier Acten war einer überflüssig. Wie in dem Stück des ver­gangenen HerbstesDas verlorene Paradies", hat Fulda auch in der vorliegenden Arbeit einen modernen anziehenden Vorwurf ausgenommen, ihm auch eine dramatische Kunstsorm in geschlossener Handlung, aber leider keine geistvolle, keine befriedigende Lösung zu geben gewußt. Einen Theil der Schuld des halben Erfolges trägt in beiden Fällen der Mangel einer durch Spiel und Vortrag fesselnden Schauspielerin; Eugenie ist aus der Bühne nur lebensfähig, wenn sie von einer Künstlerin dargestellt wird, die das Einerlei und die Pein einer unglücklichen Ehe durch die mannigfaltigsten Schattirungen und Feinheiten individuell und seelenvoll gestaltet; die bloße Umriß­zeichnung erweckt unsere Theilnahme nicht.

Das Berliner Theater hat sich unter Ludwig Barnay's rühriger Leitung trotz der kurzen Zeit seines Bestehens ein festes Publicum erworben, das ihm auch in der schlechten Zeit treu bleibt und nicht nach Abwechselung und Neuigkeiten verlangt. Nicht ohne Einfluß daraus mag die Gunst des Hofes sein, die von allen

Deutsche Rundschau. XVIII, 4. 9