Heft 
(1892) 70
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Deutsche Rundschau.

Privattheatern Berlins diesem am reichsten zu Theil wird. Ein Stamm von Künstlern, um Ludwig Barnay Nuscha Butze und Antonie Baumeister, Ludwig Stahl und Arthur Kraußneck, dem sich jetzt Agnes Sorma zugesellt hat, hält dabei die Theilnahme der Zuschauer stets in einer gewissen Erregung. Am stärksten ist sie in dieser Spielzeit durch die Darstellung der Molisre'schen KomödieDer Geizige" in Dingelstedts tresslicher Bearbeitung und des Grillparzer'scheu FragmentsEsther" beschäftigt worden. Daneben sind dieAussührungen desHamlet" und desJulius Cäsar", derJungfrau von Orleans" und von modernen Schau­spielen die des Ohnet'schenHüttenmeisters" und der Lindner'schenBluthochzeit" die Magnete dieses Theaters. Von erfolgreichen Neuheiten ist nichts zu berichten. Das einzige Stück, das hier eine Erwähnung verdient, ist eine nachgelassene Arbeit Michael Klapp's, die Adolf Gerst mann zu Ende geführt hat, ein Lustspiel in Vier- AufzügenDie Komödie Sr. Durchlaucht", das am Donnerstag den 19. November zur Aufführung kam. Michael Klapp war ein findiger Kopf, dem be­ständig eine Fülle von Einfällen, Erfindungen, Grillen und Ideen durch den Kopf schwirrten, in einer merkwürdigen Mischung von genauer Beobachtung und Kenntniß des modernen Gesellschaftslebens und romantischer Empfindung. Aber er gelangte niemals ohne fremde Hülfe über den ersten Ansatz und Anstoß hinaus; es lag nicht in seiner Art, seine Stoffe zu bebrüten oder zu vertiefen: eine Schwäche seines Talentes, die mit seinem Mangel an gründlicherer Bildung zufammenhing. Seinem Lustspiel liegt ein witziger Gedanke zu Grunde: ein deutscher Fürst, der nichts zu regieren hat, be­schäftigt sich eifrig mit feinem Theater und empfindet den Ehrgeiz, unter die Dramatiker zu gehen. Er will ein Lustspiel schreiben und wird durch den Zufall und den Rath eines Freundes dahin geführt, seine Umgebung, sein eigenes Leben zum Stofs dieser Komödie zu machen. Dabei ist er auf der Suche nach feiner natürlichen Tochter, die er bald nach ihrer Geburt, da er die Geliebte auf den Befehl feines Vaters ver­lassen mußte, aus den Augen verloren hat, und feine Mutter auf der Suche nach einer standesgemäßen Gemahlin für ihn. Man merkt die Anregungen, die Hackländer's LustspielDer geheime Agent" und Wichert'sFreund des Fürsten" ihm gewährten. Michael Klapp's Plan wurzelte in der Gegenwart; Adolf Gerstmann, der die Arbeit zu Ende geführt hat, verpflanzte sie in die Zopfzeit, um sie durch allerlei lustige Züge aus dem Theaterlebeu des vorigen Jahrhunderts zu bereichern. Die Tochter des Fürsten ist nämlich eine Schauspielerin geworden, und die Fürstin-Mutter schmuggelt die dem Sohne bestimmte Prinzessin als ihre Hofdame in das Schloß. Aber die Rebe hat durch diese Umpflanzung an Würze und Duft verloren. Aus dem witzigen und satirischen Einfall entpuppt sich eine Verwechselungs- und Schauspielerkomödie, der die Originalität beinahe ganz fehlt und die sich ein wenig mühsam in den alten Geleisen und Späßen bewegt. An drolligen Einzelheiten und spaßigen Ueberraschungen ist kein Mangel, allein das Zwiespältige der Behandlung, die zwischen der Hackländer'schen Ironie und der grotesken Uebertreibuug in der Schilderung der Hoffchranzen und der Komödiantenmutter unentschlossen hin und herschwankt, bald sich im Rahmen des Mög­lichen zu halten sucht, bald sich in die Phantastik verliert, läßt einen stärkeren, die Theilnahme des Publicums mit sich fortreißenden Zug nicht aufkommen. Der Stoff hätte die Wendung in den burlesken Fastnachtsschwank ebenso gut erlaubt wie in die humoristische Salonkomödie, nur mußte man sich für einen Stil entscheiden und an ihm festhalten.

Ganz in den Hintergrund sind durch die Wandlung der Zeiten und die Gründung des Lessing - Theaters zwei Bühnen gedrängt worden, die früher im Mittelpunkte des theatralischen Interesses standen und sich in die Gunst des Publicums theilten: das Wallner-Theater und das Residenz-Theater. Die Posse ist nach dem Adolf Ernst- und dem Thomas-Theater ausgewandert, zwei Bühnen, denen die Besitzer, die zugleich die Directoren, Schauspieler, Regisseure und Hauptfabrikanten ihrer dramatischen Waaren sind, den Namen gegeben haben. Auf der Wanderung und in dem neuen Heim hat die Posse jeden literarischen Flitter und Schmuck abgestreift; ihr hauptsächlichster Reiz