Heft 
(1892) 70
Seite
133
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Politische Rundschau.

Berlin, Mitte December.

Die Handelsverträge Deutschlands mit Oesterreich-Ungarn, Italien und Belgien sind dem deutschen Reichstage zugegangen. In einer Zeit, in der trotz aller friedlichen Aussichten die Rüstungen zu Lande und zur See in den europäischen Ländern eine bedeutsame Rolle spielen, darf es mit großer Genugthuung begrüßt werden, daß ans dem Gebiete des Handelsverkehrs ein Werk gelungen ist, durch welches mannigfache Gegensätze gemildert werden, während für die nächsten zwölf Jahre ein Zustand relativer Sicherheit in den commerciellen Beziehungen der betheiligten Staaten geschaffen werden wird. In der ausführlichen Denkschrift, welche den Handelsverträgen zur Begründung beigegeben worden ist, hat die deutsche Reichsregierung in durchaus sachgemäßer Weise die Erwägungen hervorgehoben, durch die sie sich bei den Verhandlungen mit einer Anzahl Staaten leiten ließ, Erwägungen, aus denen die Nothwendigkeit der gesammten handelspolitischen Action hervorgeht. Mit Recht wird daraus hingewiesen, daß Frank­reich durch die Kündigung seiner sämmtlichen Handelsverträge und die geplante Ein­führung hoher Tarife gewissermaßen den entscheidenden Anstoß zu Abwehrmaßregeln gegeben hat. So drängte sich die Annahme auf, daß, sobald es gelungen wäre, einen Tarifvertrag mit Oesterreich-Ungarn zu Stande zu bringen, mit einer gewissen Noth­wendigkeit andere umfassende Tarifverträge sich anschließen würden. Diese Erwartung ist denn auch nicht getäuscht worden, wie denn zugleich gehofft werden darf, daß die Zahl der Staaten, die an dieser friedlichen Verständigung gegenüber dem Prohibitiv­system Frankreichs und Rußlands theilnehmen, noch weiteren Zuwachs erfahren wird.

Bezeichnend ist, daß die gemäßigt freihändlerischen Organe in Frankreich, die mit der in ihren parlamentarischen Körperschaften durchdringenden ausgeprägten Schutzzollpolitik wenig einverstanden sind, nicht ohne ernste Besorgnisse von einem mitteleuropäischen Zollverein sprechen, obgleich die Zollschranken zwischen den vertragschließenden Staaten sortbestehen, überdies aber Frankreich auf Grund der bezüglichen Klausel des Frank­furter Friedens aus die Meistbegünstigung Anspruch erheben darf. Die Erleichterungen und Zollherabsetzungen, welche die vertragschließenden Staaten miteinander vereinbart haben, beziehen sich allerdings zumeist aus Positionen, die gerade für Frankreich weniger in Betracht kommen. Daß das innige Einvernehmen, welches durch das europäische Friedensbündniß zwischen Deutschland, Oesterreich-Ungarn und Italien herbeigeführt worden ist, durch die Handelsverträge eine wesentliche Verstärkung erfährt, leuchtet ohne Weiteres ein. Das ossiciöse WienerFremdenblatt" betonte denn auch mit Fug, daß Deutschland, Oesterreichs Ungarn und Italien, indem sie in das neue Ver- hältniß in einer ihren wirthschaftlichen Anlagen und Hauptbestrebungen entsprechenden Weise eintreten, wie in der Politik auch in der Volkswirthschaft einander ergänzen und gemeinsam die Gefahren des Abschließungssystems bekämpfen wollen, das von Frankreich, Rußland und den Vereinigten Staaten von Amerika in so scharfer Weise ausgebildet worden ist. Umfassen doch die drei Reiche und die Staaten, die sich ihnen