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Deutsche Rundschau.
augeschlossen haben und noch anschließen werden, ein Gebiet, das jedem anderen handelspolitisch geeinigten zum mindesten an Volkszahl weit überlegen ist. Obgleich dieses Gebiet nun selbst wieder von Zollschranken durchzogen ist, so gewinnt es doch dadurch, daß es von inneren Zollkämpsen verschont bleibt und sich zunächst sür die Dauer von zwöls Jahren einer wohlthätigen Stabilität ersreuen dars, ein natürliches Uebergewicht, durch welches die Abwehr der von außen kommenden Nebel wesentlich erleichtert wird. So dars denn in der That die Erwartung gehegt werden, daß die industriellen Erzeugnisse Deutschlands, Oesterreich-Ungarns Reichthum an Urproducten und dessen entwickelte Kunstindustrie, sowie dasjenige, was Italien seinem südlichen Klima verdankt, in Zukunst im Wechselverkehre der drei Staaten besser zur Verwerthung kommen werden.
Wenn in der Denkschrist, die dem deutschen Reichstage zugleich mit den Handelsverträgen zugegangen ist, hervorgehoben werden konnte, es stände zu erwarten, daß die in den letzteren gemachten Zugeständnisse auch noch anderen Staaten gegenüber geeignete Verwerthung finden werden, so ist dies in gewissem Maße sogar sür die Vereinigten Staaten von Amerika eingetroffen. Am 9. December ist dem Reichstage Mit- theilung von dem Austausche zweier Noten zwischen dem deutschen Geschäftsträger bei der Union und dem Specialbevollmächtigten der Vereinigten Staaten gemacht worden, wodurch den letzteren die ermäßigten deutschen Zollsätze sür landwirthschaftliche Erzeugnisse, dem Deutschen Reiche dagegen die freie Zuckereinfuhr in der Union zngesichert werden. Dieser Vorgang ist um so beachtenswerther, als gerade die Union neben Rußland und Frankreich das wirthschaftliche Abschließuugssystem am entschiedensten durchführt. Es kann daher nicht überraschen, daß besonnene französische Organe, wie der „Temps", mit Rücksicht aus die weitgehenden schutzzöllnerischen Beschlüsse der Deputirtenkammer und des Senats düstere Wolken am wirthschastlichen Horizonte der Republik aussteigcn sehen. „Während unsere Kammern," führte der „Temps" am 9. December aus, „nach besten Kräften an der wirthschastlichen Jsolirung Frankreichs arbeiten, werden rings um uns aus allen Seiten Handelsverträge abgeschlossen, die bestimmt sind, falls es dessen überhaupt noch bedurfte, das Werk unserer Schutzzöllner zu vollenden. Schlag aus Schlag erfahren wir, daß Deutschland, Italien, Oesterreich- Ungarn, Belgien, die Schweiz Vereinbarungen geschlossen haben oder zu schließen im Begriffe stehen, durch welche sür eine lange Periode die Bedingungen ihrer Beziehungen und des Austausches ihrer Products geregelt werden. Zu gleicher Zeit sind in Berlin, in Rom, in Wien und in Pest den Parlamenten Verträge übermittelt worden, welche den Handel und die Schiffahrt zwischen den Staaten der Tripelallianz betreffen. Für Belgien und die Schweiz wäre eine eben solche Unterbreitung nur eine Frage von Tagen. Spanien würde ohne Zweifel folgen. Ja, die Bewegung würde sich sogar außerhalb Europas ausdehnen, da uns die Abschließung einer Handelsconvention zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten angekündigt wird." Obgleich diese „eonvkntion eommereials" nur die bereits hervorgehobene Bedeutung hat, so spiegelt doch der Artikel des Pariser „Temps" die ernsten Besorgnisse wider, die in wirth- schastlicher Hinsicht vielfach in Frankreich gehegt werden, noch ehe der neue Zolltarif in Kraft getreten ist. Allerdings sind die französischen Schutzzöllner mit einer Sorglosigkeit vorgegangen, die an das „eosur leger" erinnert, mit dem Emile Ollivier beim Ausbruche des deutsch-französischen Krieges die Verantwortlichkeit übernehmen zu wollen erklärte. Ein sreihändlerischcs französisches Organ kündigte denn auch bereits ein wirthschastliches Sedan au.
In der bedeutsamen Rede, mit welcher der deutsche Reichskanzler in der Reichstagssitzung vom 10. December die erste Lesung der Handelsverträge mit Oesterreich- Ungarn . Italien und Belgien eingeleitet hat, konnte er zunächst constatiren, daß die Zahl dieser Verträge inzwischen durch den mit der Schweiz abgeschlossenen einen Zuwachs erfahren habe. Obgleich General von Caprivi die Reichsregierung ausdrücklich dagegen verwahrte, daß sie von den neuen Handelsverträgen auch in politischer Hinsicht etwas erwarte, konnte er doch selbst nicht umhin, seine bezüglichen Ausführungen in