Politische Rundschau.
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gewissem Maße einzuschränken. Nachdem er in Bezug aus Belgien und die Schweiz mit Fug hervorgehoben hatte, daß beide Staaten seien, deren Neutralität durch europäische Verträge gewährleistet sei, so daß lediglich die Pflege sreuudschastlicher Beziehungen angestrebt werden könne, wies er auf das Verhältniß Deutschlands zu Oesterreich-Ungarn und Italien in durchaus zutreffender Weise hin. Seine Argumentation bewies aber gerade, daß auch die politischen Consequenzen der Handelsverträge keineswegs unterschätzt werden dürfen. Nachdem er von Neuem betont hatte, daß das europäische Friedensbündniß lediglich zur Abwehr geschlossen ist und nicht die geringste kriegerische Bedeutung hat, lieh er der Meinung Ausdruck, daß, wenn man mit anderen Staaten Bündnisse schließe, deren Zweck es sei, aus lange Zeit den Frieden zu erhalten, es doch nicht möglich wäre, mit diesen Staaten einen wirthschastlichen Krieg zu führen, durch den sie geschwächt werden müßten, während es im Gegentheile daraus ankomme, sie für alle Eventualitäten zu stärken.
Im Hinblick aus Italien durste insbesondere mit der Herabsetzung des Weinzolles exemplisicirt werden. Gerade hier zeigt sich aber, daß neben den wirthschastlichen auch segensreiche politische Consequenzen von den Handelsverträgen erwartet werden dürfen. Es braucht nur daran erinnert zu werden, wie die französischen Blätter, die vor der Erneuerung der Tripelallianz ihre Lockrufe an die Italiener vernehmen ließen, regelmäßig versicherten, daß die handelspolitische Lage derselben unverzüglich eine wesentliche Besserung erfahren würde, sobald sie aus das Verbleiben im Dreibunde verzichteten. Die Franzosen waren es also, die hohe Politik und wirthschastliche Beziehungen in den engsten Zusammenhang gebracht wissen wollten, indem sie insbesondere der italienischen Weinaussuhr nach Frankreich das günstigste Horoskop stellten, salls Italien sich eben bereit erklärte, aus seine selbständige Position im europäischen Friedensbündnisse zu verzichten und der französischen Republik Heeressolge zu leisten. In Wirklichkeit wäre es für Italien sehr verhängnißvoll geworden, salls es sich durch die französischen Werbungen hätte bethören lassen, die gewissermaßen an diejenigen in der Ballade vom „Erlkönig" erinnerten. Das rücksichtslose Verhalten, welches Frankreich gegenüber dem befreundeten, keineswegs der Tripelallianz sich anschließenden Spanien in der Weinzollfrage an den Tag gelegt hat, bekundet am deutlichsten, von welchen Gesinnungen die extrem schutzzöllnerische Mehrheit der französischen Kammern beseelt ist. Ohne der Thatsache Rechnung zu tragen, daß die Weinaussuhr für Spanien eine wirthschaftliche Lebensfrage ist, haben Deputirtenkammer und Senat in Frankreich durch ihre Tarifbestimmungen diesen Export nach Frankreich, salls nicht noch in letzter Stunde Wandel geschaffen werden sollte, unmöglich gemacht. In Spanien herrscht denn auch der benachbarten Republik gegenüber eine so tiefe Mißstimmung, daß leidenschaftliche Ausbrüche des Volksunwillens durchaus nicht ausgeschlossen erscheinen. Hier zeigt sich also in unwiderlegbarer Weise, daß hohe Politik und Handelspolitik nicht unbedingt von einander getrennt weiden können, so daß auch von diesem Gesichtspunkte aus die Handelsverträge, welche Deutschland mit den verbündeten Mächten abgeschlossen hat, mit Genugthuung begrüßt werden dürfen, weil sie eine weitere Bürgschaft für die Aufrechterhaltung des europäischen Friedens darstellen. Auch Diejenigen, welche zunächst in den Festsetzungen dieser Verträge eine Beeinträchtigung der Interessen einzelner Sphären erblicken, werden gerade das Gewicht dieses Argumentes anerkennen.
Die eminent friedliche Rede, die der deutsche Reichskanzler General von Caprivi in der Reichstagssitzung vom 27. November 1891 gehalten hat, war bereits eine willkommene Ergänzung der jüngsten Kundgebungen der leitenden Persönlichkeiten in Oesterreich-Ungarn, Italien und England. Der Nachfolger des Fürsten Bismarck beschränkte sich jedoch nicht daraus, gegen gewisse pessimistische Anwandlungen entschieden Front zu machen, sondern er entrollte zugleich in allgemeinen Zügen ein Gesammtbild der politischen Lage, das insbesondere auch insofern das höchste Interesse erregen mußte, als die vielerörterte Flottenzusammenkunst in Kronstadt und dasjenige, was sich daran knüpfte, in den Kreis der Betrachtungen gezogen wurde. Ohne sich einem allzu weit gehenden Optimismus hinzugeben, muß man doch den Leiter der