Heft 
(1892) 70
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Deutsche Rundschau.

auswärtigen Politik Deutschlands als competenten Beurtheiler anerkennen, wenn er betonte, daß durch diese Zusammenkunft nur für weitere Kreise ein Zustand erkennbar geworden fei, der thatsächlich schon geraume Zeit hindurch existirte. Daher glaubt der deutsche Reichskanzler auch nicht, daß jenes Ereigniß zu größerer Beunruhigung Anlaß geben könnte als bisher, wie er denn zugleichfelsenfest davon überzeugt" ist, daß die persönlichen Absichten des Kaisers von Rußland die friedfertigsten sind.

Diese Rede des Generals von Caprivi war um so bedeutsamer, als der Hinweis des Kaisers von Oesterreich bei der Eröffnung der Delegationssession, es wäre sein Wunsch, daß die Sorgen und Lasten, die im Hinblick aus kriegerische Verwicklungen ertragen werden müßten, ihr Ende erreichten, von politischen Schwarzsehern in einem weniger friedlichen Sinne gedeutet worden waren. Der Kaiser von Oesterreich war jedoch so weit davon entfernt, aus drohende Kriegsgefahren hinzuweisen, daß er viel­mehr der zuversichtlichen Erwartung Ausdruck lieh, es werde dem allgemeinen Friedens- bedürsnisse gelingen, die Gefahren der politischen Lage zu beseitigen. Dagegen kam es darauf an, Forderungen, die jetzt und in Zukunft behufs Verstärkung der österreichisch­ungarischen Wehrkraft in den Delegationen gestellt werden, durch die Gestaltung der allgemeinen Weltlage zu begründen. Es zeigt sich aber stets von Neuem, wie ge­schäftig die Widerfacher der durch das europäische Friedensbündniß geschaffenen Kon­stellation aller Orten sind, in jede vermeintliche Lücke einen Keil zu schieben; eine Thatsache, die in diesen Tagen erst wieder zur Erscheinung gelangte, als Graf Kalnoky gegenüber den ultramontanen Anwandlungen eines Abgeordneten in der österreichischen Delegation einige allgemeine Betrachtungen darüber anstellte, daß es besser wäre, wenn die italienische Regierung einen modus vivendi mit dem Papstthume fände. Diese durchaus selbstverständliche Auffassung des Leiters der auswärtigen Politik in einen: katholischen Lande wie Oesterreich wurde dann sofort von den italienischen Radicalen zu einer Haupt- und Staatsaction aufgebauscht, die darauf abzielen sollte, dierömische Frage" zur Erörterung zu stellen.

Den Jrredentisten vom Schlage Jmbriani's, Cavallottlls und Bovio's, die sich nicht scheuen, bei jeder Gelegenheit in der italienischen Deputirtenkammer von Triest und dem Trentino als italienischem Gebiete zu sprechen, während sie in ihrer Sucht, sich den Franzosen gefällig zu erweisen, Nizza und Savoyen, die Geburtsstadt Gari- baldi's und das Stammland des italienischen Königshauses, ganz vergessen zu haben scheinen, verfolgten mit ihren Angriffen aus Anlaß der Rede des Grasen Kalnoky lediglich den Zweck, einen neuen Ansturm gegen die Tripelallianz in Scene zu setzen. Dieser Versuch ist jedoch durch die Geschicklichkeit des leitenden italienischen Ministers Rudini vereitelt worden. Noch bedeutsamer erscheint, daß die italienische Deputirten­kammer in diesem Zusammenhänge dann dem Ministerium mit der überwältigenden Mehrheit von 248 gegen 92 Stimmen ein Vertrauensvotum ertheilt hat, das sich nicht bloß aus die Kirchenpolitik der Regierung, sondern aus die gesammte innere Politik bezog, nachdem Rudini überdies erklärt hatte, das Cabinet wäre zugleich bereit, stets, auch sofort in eine Erörterung über die auswärtige Politik einzutreten. Nach dem bedeutsamen Erfolge, den der italienische Schatzminister Luzzatti unlängst mit seinem ebenso sorgfältig wie gewissenhaft ausgearbeiteten Finanzexposö erzielt hat, in dem er nicht nur die Wiederherstellung des Gleichgewichtes im italienischen Staatshaus­halte, sondern auch Ueberschüsse ankündigen konnte, darf der parlamentarische Sieg, den das Cabinet Rudini am 7. December t891 in der Deputirtenkammer davon­getragen hat, als eine Befestigung der gegenwärtigen Regierung angesehen werden, die zugleich im Interesse der Friedenspolitik mit Genugthuung zu begrüßen ist.

Bei diesem Anlasse gelangte die ganze Zweideutigkeit der von den Radicalen befolgten Taktik zur deutlichen Erscheinung. Hatten sie, an die Ausführungen des Grasen Kalnoky in der österreichischen Delegation anknüpfend, ohne Weiteres behauptet, daß der österreichische Minister des Auswärtigen dierömische Frage" von Neuem auszuwerfen versucht habe, so entkräftete der italienische Conseilpräsident diesen Vorwurf einfach durch die Versicherung, daß die österreichisch-ungarische