Politische Rundschau.
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Armee Schulter an Schulter mit den Streitkrästen Italiens kämpfen werde, sobald dessen Einheit gefährdet sei. Daß Koma oaxitalo eine wesentliche Voraussetzung dieser Einheit ist, konnten die Radicalen nicht bestreiten; sie veränderten daher sogleich ihre Taktik, indem sie der gegenwärtigen Regierung den Vorwurf machten, daß eine Art Abhängigkeitsverhältniß von Oesterreich geschaffen wäre, wenn dessen Armee mit- berufen sein sollte, die Einheit Italiens zu vertheidigen. Rudini vermochte auch diesen Vorwurf leicht zu widerlegen, indem er erklärte, daß das Land selbst seine Einheit zu wahren wissen werde. Den Radicalen ist überdies sehr wohl bekannt, was der Conseilpräsident mit seinem Hinweise auf die Waffenbrüderschaft Oesterreich-Ungarns andeuten wollte: daß nämlich im Falle eines großen Krieges, durch den Italiens Großmachtstellung gefährdet, die Tripelallianz nach dieser Seite in Wirksamkeit treten würde. Jmbriani, Cavallotti und Genossen sind eben gerade bei ihrem jüngsten parlamentarischen Feldzuge aä ab8uräum geführt worden, da eine drastischere Abfertigung gar nicht möglich war als durch den Hinweis auf den Dreibund, nachdem sie selbst das angebliche'Verhalten der österreichischen Regierung gegenüber der „römischen Frage" urgirt hatten. Daß eine solche „Frage" heute überhaupt nicht mehr existirt, kann nur noch von den Ultramoutanen bestritten werden; jedenfalls sind die leitenden Staatsmänner Deutschlands, Oesterreich-Ungarns und Italiens in dieser Beziehung vollständig einig.
Das von den italienischen Kammern seiner Zeit beschlossene Garantiegesetz hat mit dem am 20. September 1870 endgültig gelösten Problem nicht das Geringste gemeinsam; vielmehr sollten durch dieses Gesetz nur die Beziehungen des Königreichs Italien zum Papste geregelt werden, dem gewisse Rechte gewährleistet wurden. Bei der Beurtheilung der parlamentarischen Verhältnisse in Italien darf nicht außer Betracht bleiben, daß die Parteigänger des früheren Conseilpräsidenten Crispi die gegenwärtige Regierung aus anderen Rücksichten befehden, als es von Seiten der Radicalen geschieht. Obgleich der Gegensatz zwischen den Letzteren und der von dem Vertrauensmanne Crispüs, Zanardelli, geführten Linken seine Schärfe keineswegs eingebüßt hatte, landen sich beide Gruppen diesmal doch zusammen, um den Ansturm gegen das Cabinet Rudini zu versuchen. Nun wäre es aber Crispi und seinen Anhängern, die stets mit Entschiedenheit für die Tripelallianz eingetreten sind, schwer gefallen, sich an einem Angriffe auf den Grafen Kalnoky, als einen Vertreter des europäischen Friedensbündnisses, zu betheiligen. Daher war es der Linken willkommen, daß ein anderes Kampfterrain ihnen zur Verfügung stand: die Kirchenpolitik der Regierung und deren innere Politik im Allgemeinen. Das Garantiegesetz erschien den Parteigängern Crispüs um so mehr als der schwache Punkt der Gegner, als unlängst erst die Radicalen lebhafte Beschwerde darüber führten, daß eine ihrer Volksversammlungen, in der gegen das Garantiegesetz zu Felde gezogen werden sollte, von der Behörde verboten war. Obgleich aber die Linke auf die Unterstützung der Radicalen zählen konnte, überschätzte sie doch, wie die Abstimmung vom 7. December gezeigt hat, die eigenen Machtmittel.
Die Stellung des Ministeriums Rudini ist jedenfalls durch den Ausgang dieses parlamentarischen Feldzuges wesentlich befestigt worden. Auch darf nicht in Abrede gestellt werden, daß der italienische Conseilpräsident, der bereits bei verschiedenen Gelegenheiten staatsmännischen Blick bekundet hat, nunmehr gerade hinsichtlich der Beziehungen Italiens zum Papstthume, die für jenes durch das Garantiegesetz geregelt sind, eine durchaus correcte Stellung eingenommen hat. Während Crispi bei den jüngsten parlamentarischen Verhandlungen darauf hinwies, daß er, falls er die Regierungsgewalt länger behauptet hätte, eine Abänderung des Garantiegesetzes angestrebt haben würde, erklärte Rudini, wie bereits vor mehreren Wochen in seiner zu Mailand gehaltenen Programmrede, auch bei Gelegenheit der Interpellation über die Kirchenpolitik, daß er keineswegs eine derartige Abänderung beabsichtige. Dieses maßvolle Verhalten ist um so bem'erkenswerther, als nach den Zwischenfällen, die sich bei den letzten französischen Pilgerfahrten in Rom abspielten, die öffentliche Meinung jenseits der Alpen vielfach eine leicht begreifliche Erregtheit gegen den Vatican und dessen Anhänger anfwies.