Heft 
(1892) 70
Seite
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Deutsche Rundschau.

Hätte nun aber die italienische Regierung aus besonnenes Vorgehen verzichtet, indem sie den extremen Beschlüssen der Radicalen Vorschub leistete, so wären die Ultramontanen ohne Zweifel unverzüglich aus dem Plane erschienen, um aller Welt zu verkünden, daß der Papst in der That nicht frei sei. Es braucht nur aus das Verhalten eines Theils der französischen Bischöfe hingewiesen zu werden, um zu zeigen, welche Ausdehnung die ultramontane Bewegung hätte gewinnen können, falls Rudini die Ausschreitungen französischer Pilger im Pantheon zum Anlasse genommen hätte, um die dem Papste durch das Garantiegesetz gewährleisteten Vorrechte abzuschwächen. Durch sein Maßhalten hat der italienische Conseilpräsident dagegen erzielt, daß die sranzösische Regierung, weit entsernt, die Rolle der Sachwalterin des Papstes spielen zu können, zunächst in die Nothwendigkeit versetzt war, gegen die Bischöfe ihres Landes, die sich allzu weit vorgewagt hatten, Front zu machen. Der Erzbischof von Aix, der nicht bloß gegen die italienische Regierung wegen des Mißgeschicks der französischen Pilger heftige Angriffe richtete, sondern auch den Kultusminister der Republik, Falliöres, beleidigte, ist vom Pariser Appellhose zu dreitausend Francs Geldbuße verurtheilt worden. Die Ovationen, die dem streitlustigen Kirchenfürsten bereitet wurden, beweisen jedoch ebenso wie die zustimmenden Erklärungen, die ihm von zahlreichen anderen Bischöfen zu Theil geworden sind, daß die ultramontane Strömung in Frankreich ge­wachsen ist. Diese Strömung hat jedoch zunächst in Folge des besonnenen Vorgehens Rudinüs in der Kirchenpolitik eine Ablenkung in der Richtung erfahren, daß die fran­zösische Regierung genöthigt war, sich gegen die Uebergrisfe ihres Episkopates zu wenden. Hieraus ergab sich als weitere Folge, daß das gute Einvernehmen zwischen der französischen Republik und dem Papste, welches von dem Cardinal Lavigerie an­gebahnt wurde und seine Spitze gegen Italien richten sollte, zum mindesten verzögert worden ist. Ließ sich doch schwer absehen, wie diese sntsnto eorckiale verwirklicht werden sollte, wenn in Frankreich die Gruppe derjenigen Bischöfe täglich Zuwachs erfährt, die mit dem Erzbischöfe von Aix gemeinschaftliche Sache machen.

Der Verlauf der Verhandlungen über die Kirchenpolitik, die in beiden parlamen­tarischen Körperschaften Frankreichs aus Anlaß der daselbst eiugebrachten Interpellationen stattgefunden haben, sollte vollgültiges Zeugniß dafür ablegen, daß die republikanische Mehrheit nicht länger gewillt ist, Uebergrisfe der Ultramontanen zu dulden. Die Radicalen hatten bereits die Losung ausgegeben:Trennung der Kirche vom Staate". Obgleich die Regierung sich zunächst gegen dieses Verlangen sträubte, erklärte der Conseilpräsident de Freycinet doch im Senate, daß die Ultramontanen es sich selbst zuschreiben müßten, falls schließlich kein anderer Ausweg übrig bliebe. Daß die Trennung der Kirche vom Staate, wie sie von den französischen Radicalen ins Auge gefaßt wird, nicht mit der libera 6üiksa in lidsro 8tatc>, derfreien Kirche im freien Staate" CavouUs identisch ist, kann im Hinblick auf die gegen das Papstthum ge­richteten Bestrebungen der äußersten Linken in Frankreich keinem Zweifel unterliegen.

Andererseits würde man bei der Annahme fehlgehen, daß der Papst selber das schroffe Vorgehen einiger Kirchenfürsten gegen die französische Regierung gebilligt hätte. Vielmehr erhellt aus der am 14. December an die kardinale gerichteten Allocution, daß Leo XIII. sich nicht etwa durch die gerichtliche Verfolgung und Verurtheilung des Erzbischofs von Aix beschwert fühlt, sondern durch die italienische Kirchenpolitik, als ob der Conseilprüsident Rudini nicht gerade unlängst das größte Entgegenkommen be­wiesen hätte. So müssen denn besondere Erwägungen maßgebend sein, wenn die römische Curie trotz dem Anwachsen der ultramontanen Strömung in Frankreich mit der Republik Frieden halten will. Ein ernsthafterKulturkampf" in Frankreich erscheint jedenfalls zunächst ausgeschlossen, wie ungestüm auch die Radicalen sich ge­berden mögen.