Heft 
(1892) 70
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Deutsche Rundschau.

Mustern aus, daß sie als volle Zeugnisse sür geistige Eigenthümlichkeit nicht gelten dürfen. Dies wohl der vornehmste Grund, weshalb Nachweisungen unbekannter Jugend­werke meist kein rechtes Echo mehr finden.

Wenn wir bei dieser Lage der Dinge uns gegen den hier gemachten Versuch aus­sprechen, drei bisher von Dürer serngehaltene Gemälde nun ihm zuzuschreiben, so geschieht es im Bewußtsein, etwas Nützliches zu thnn. Dürer ist ein nicht bloß sür den Kunstkenner, sondern sür alle Welt in Deutschland wichtiger Meister, und Berlin durch die in Paris erworbenen, einst Pokorny in Wien zugehörigen Hand­zeichnungen, sowie durch Ankauf hervorragender Gemälde von Dürers Hand neben München und Wien in Deutschland zu einem bedeutenden Repräsentationspunkte für Dürer's Thätigkeit geworden. Und wenn wir setzen, mit welcher Unumwundenheit in Lippmann's Publication der Dürer'schen Handzeichnungen bei jedem Blatte der An­spruch, als ein Werk des Meisters zu gelten, geprüft und jedes Bedenken rückhaltslos behandelt wird, so meine ich, müßte dieselbe Objectivität auch sür die Gemälde Dürer's maßgebend sein. Ich erinnere daran, wie bei dem räthselhasten, in England unserer­seits erstandenen Porträt das pro und eoutra gewissenhaft zur Sprache gebracht worden ist und nur der hier waltenden Objectivität die allgemeine Anerkennung, die dem Werke als einer unabweisbaren Schöpfung Dürer's schließlich zu Theil ge­worden ist, zu verdanken war.

Von den drei Dürer jetzt also zugesprochenen Gemälden muß die Bestimmung von Nr. 3, das seltsame Jdealporträt des Städel'schen Institutes zu Frankfurt a. M. am meisten Bedenken erwecken. Viele werden, vor dem Gemälde stehend, seinen Meister vergebens zu ersinnen gesucht haben. Neuerdings ist von Lermolieff in den Bemerkungen über die Galerien von München und Dresden (Kunstkritische Studien, Leipzig 1891, S. 222), ein neuer Vorschlag gemacht worden. Lermolieff theilt ein Porträt eines als Bartolamio de Venecia von ihm eingeführten Meisters mit, dessen enge Verwandt­schaft mit dem Frankfurter Kopfe Jedem auffalleu muß, wie sie denn auch von ihm hervorgehoben wird. Hiermit scheint diese Frage erledigt zu sein.

Die beiden anderen Stücke sind das berühmte namenlose Meissener Altargemülde und ein von Anderen bereits Dürer zugeschobenes Porträt der Gothaer Galerie. Der Verfasser unseres Aufsatzes appellirt gleichsam an das Herz des Beschauers und scheint aufzufordern, berechtigten Familienmitgliedern die Zugehörigkeit nicht abzu­erkennen. Auch lassen sich die Gründe, mit denen er uns zu überreden sucht, wohl hören. Allein es muß trotzdem darauf hingewiefen werden, daß der Umfang der Merkmale Dürerffcher Kunst, welche hier zu erörtern waren, zu gering bemessen wurde.

Zur Beurtheilung der schaffenden Art Albrecht Dürer's von früh auf ist zahl­reiches Material erhalten. Als eins der wichtigsten Stücke darunter (und zugleich das älteste) das eigene Bildniß, das Dürer selbst als Kind von sich zeichnete. Hier fällt uns ein Doppeltes auf: die Kühnheit, wie er mit Schatten kräftigster Art seinen Kopf modellirt und vom Hintergründe loslöst, und der Umstand, daß er Arm und Hand mitzeichuete, also nicht bloß die Aehnlichkeit der Züge, sondern die Bewegung des Oberkörpers herzustellen suchte. Was wir auf dieser ältesten Probe sehen, gilt für Dürer's ganze Thätigkeit: das Bestreben, mit Schatten die Figuren zu runden und sie vom Hintergründe abzuheben, sowie der Wunsch, die Bewegung der Arme und Hände sichtbar werden zu lassen. Auf allen Zeichnungen, Stichen, Holz­schnitten und Gemälden tritt uns das entgegen. Immer die Arme möglichst frei, vom Körper los und in eigener Bewegung. Nie bei Hauptfiguren die Hände (oder eine der beiden Hände) ganz oder auch nur halb verdeckt (es müßten besondere Ursachen es denn gebieten), sondern in eigenthümlicher, Dürer allein zugehöriger Auffassung voll sichtbar. Man vergleiche die Hand des ebenerwähnten Berliner Porträts oder die des eigenen Bildnisses auf der Münchner Galerie: wie höchst individuell die Auf­fassung ist. Auf dem Meissener Altar und dem Gothaer Gemälde suchen wir ver­gebens nach Beweisen dieser Art für Dürer's Urheberschaft. Der Meissener Altar erscheint, wie übrigens auch allgemein geurtheilt wird, als das Werk eines feinen,