Kunst- und Literaturgeschichte.
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reifen, meisterhaft ausführenden Niederländers; das Gothaer Porträt dagegen verräth aus sich allein den Maler nicht, dem es zu verdanken wäre. Auf dem Meissener Altargemälde fehlen die Schatten nicht, aber sie umfassen nie die gesammten Figuren, sondern nur einzelne Theile. Nirgends auch schließen die Figuren sich bei gemeinsamer Schattengebung zu Gruppen zusammen, die ein Vorausbedachtes Ganzes bilden, sondern jede steht neben der anderen und wirkt für sich allein: die Art, wie die Niederländer arbeiteten. Man kann sagen, daß ein gewisses bildhauerisches Element überall in Dürer's Gemälden vortrete: weder auf dem Meissener Altar noch auf dem Gothaer Bildniß macht es sich geltend. Wären wir durch Inschrift oder feste Nachrichten gezwungen, beide Gemälde in der That als Dürer's Arbeiten anzusehen, so würde unser Urtheil dahin lauten, daß gewisse, sonst nie fehlende künstlerische Eigenschaften der Auffassung und Behandlung Dürers gerade in ihnen nicht zur Erscheinung kämen.
Unseres Erachtens hätte die Redaetion des Jahrbuches bei dieser Hypothese ihren Standpunkt erklären müssen.
Auch die anderen Hefte des zwölften Bandes enthalten manche die Jugendwerke der großen Meister besprechende Beiträge, die zu Erörterungen Anlaß geboten hätten.
2. Zeitschrift für bildende Kunst. Neue Folge, Zweiter Band. Ein Denkmal venezianischer Bildnißplastik im fernen Westen- Von C. Justi.
Von einer bronzenen Tafel ausgehend, die ihm in der Kathedrale von Badajoz auffiel und deren Inschrift und äußere Form auf besondere Schicksale und besondere Herkunft des Werkes wie des Mannes deuteten, den es darstellt, gelangt Carl Justi auf verschlungenen Wegen zur Erzählung der Lebensereignisse und zur Schilderung des Charakters eines spanischen Adeligen, der als Gesandter in Venedig seinem Könige und seinem Vaterlande wichtige Dienste geleistet hat und dort gestorben ist. In der Art, wie die dem Verfasser auf dem Gange seiner Untersuchung allmälig zuwachsende Kenntniß dieser Dinge vorgetragen wird, erkennen wir den Historiker, der etwas scheinbar Unbedeutendes, abseits am Wege Liegendes mit der Eleganz zu behandeln weiß, die nur dem Meister ansteht. Wir haben den Eindruck, den diese kleine Arbeit uns machte, Anderen mitgetheilt und ihn zu verificiren gebeten: was wir zurückempfingen, war die volle Bestätigung unseres Urtheils. Die Grabschrift lautet: „Grabstätte des Lorenzo Suarez von Figneroa und Mendoza mit Dona Isabel von Aguilar, seiner Frau. In jüngeren Jahren that er wie man in der Jugend zu thun pflegt, und in den Waffen leistete er, was ihm zukam. Er hat theilgenommen am Rathe Ihrer Hoheiten und wurde mehrmals als Gesandter verschickt. So brachte er seine Thätigkeit mit den Jahren in Einklang und hinterläßt dies zur Erinnerung. Was weiter geschah, möge sein Erbe sagen." Jedes Wort dieser wenigen Zeilen ist von Justi mit Nachrichten über die Wirksamkeit und die Art des Lorenzo Suarez belebt worden. Im Februar 1504 wünschte er von Venedig nach Spanien zurückzukehren: er habe zu Hause eine junge Frau und keine Kinder; zwei Jahre später starb er in Venedig: er hatte sich einen schönen Bronzesarg dort machen lassen und vorausgesandt. Von diesem stammt die Platte zu Badajoz her, die ganz neuerdings von ihrer alten Stelle vor dem Altäre an eine Wand versetzt worden ist. Ein beigegebener Holzschnitt gibt sie vortrefflich wieder.
Wir verstehen recht, wie dieses Werk venezianischen Ursprungs innerhalb einer spanischen Kirche Justi's Blick auf sich ziehen mußte. Der Mann steht wacker und adelig da, aber ohne den Anflug von Steifheit, der spanischen Werken eigen ist. Wunderbar, bis zu welcher Feinheit dieser nationale Schimmer sich bei den Kunstschöpfungen der spanischen großen Meister verflüchtigt, aber wie er doch niemals völlig davonfliegt. Auch Venedig war so recht ein Nest stolzen hohen Adels und doch, welche Freiheit des Auftretens dort im Vergleich zu den Spaniern! In Venedig waltete die Aristokratie aus eigener Gewalt, sie bewegte sich im Gefühl unbegrenzter Macht in geschmeidigen Formen, in Spanien verlieh die Uebermacht der monarchischen Etiquette