Heft 
(1892) 70
Seite
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Kunst- und Literaturgeschichte.

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Thatsachen, um deren Ursachen und Bedingungen Niemand sich kümmerte. In diesem Sinne sind Dürers Werke noch alle entstanden. Der Erste, der anders dachte und darstellte, ist Holbein der Jüngere gewesen.

4. Italien. Schilderungen alter und neuer Dichter. Zusammcngestellt von Franz Eyssenhardt. Hamburg, Lucas Gräfe. 1890.

Das Buch beginnt mit Goethe's Mignon und schließt mit der Elegie Plateills aus dem Theater von Taormina. Platen, Martial und Lord Byron sind mit den meisten Nummern vertreten. Besonders bei Martial und Juvenal war die den lateinischen Stücken zugesügte Uebersetzung erwünscht, denn wer nicht gerade zünftiger Lateiner ist, wird diese geistreichen Verse nicht so ohne Weiteres mit glattem Ver­ständnisse herunterlesen.

Eyssenhardfts Italien ist nicht mehr das der heutigen Zeit. Wer als junger Philologe sich heute dahin ausmacht, löst sich aus die zwei oder drei Jahre, die er im Süden zubringt, nicht mehr so völlig vom Vaterlande los, daß das Italienische von nun an wie zur zweiten Muttersprache für ihn wird. Wie ein ungeheures Lor- beern-überwachsenes Schlachtfeld lag die Halbinsel südlich der Alpen einst vor uns. Heilige Erinnerungen wurden da eingesammelt und in späteren Jahren gern die gleichklingenden Gedanken Derer ausgesucht, die Aehnliches erlebten.

Italien ist ansgewacht und sängt an, die Ruinen abzuschütteln, von denen es überdeckt ist. Rom und Neapel und Florenz haben sich völlig verändert, und die Canäle von Venedig warten aus die Hände, die sie zuschütten und mit Tramways belegen werden. Daran ist nun nichts mehr zu ändern. Die alten Zeiten sind durch ein gewaltiges politisches Erdbeben vernichtet, und Vieles ist nachgestürzt, ohne das Italien früher nicht denkbar war. Wenn Byron im Childe Harold singt:

OIi Homo! eooMr^! ell^ ot tllo 8ou1!

1Ü6 (NPÜM8 ot tÜ6 üoart MU8t tuen Io 1Ü66,

I^one molüöl' ok äoack groxirss!

oder wenn es in der nächsten Stanze heißt:

1Ü6 Modo ot nMions! 1li6i'6 8Ü6 8tanä8

Olüläloss anä erovnl688, in ber V01661688 V068,

so Versteht man das in Rom nicht mehr. Nur für Byron's eigene Person sind diese Schmerzensschreie zu einem melodischen Denkmale geworden, das der Erklärung bedarf. Dem heutigen Ansgrabungsingenieur tönen solche Klagelaute aus demGrabe der Welt" nicht mehr entgegen.

Wie anders Italien aber auch geworden ist, ausgehört hat es nicht, nordische Besucher über die Alpen zu locken, für die, was von Goethe bis Platen em­pfunden und ausgesprochen wurde, nun zu einem Theile der Vergangenheit geworden ist, an der sie sich begeistern. Eyssenhardt's Buch codificirt den poetischen Niederschlag einer nun vergangenen Epoche. Diese Verse schließen sich als letzter Nachklang denen der Renaissance und des Alterthums an, mit denen sie eine freundliche Gemeinschaft bilden. In diesem Sinne bringt das Buch Vieles, das nicht jedem Leser bekannt sein wird. Erfreulich ist der Hinweis aus Rückert's italienische Eindrücke. Rückert ersteht in seinem eignen Vaterlande eben aus einer Periode der Verdunklung. Er kommt als ganzer Dichter erst ans Licht gleichsam, und der Reichthum seiner Gedanken und die persönliche Art seiner Verse überraschen uns. Ebenso anmuthig wirken die aufge­nommenen Stücke von Kovisch. Schiller, Schlegel und Platen stehen würdig und Würdevoll neben einander. Platen ist ja immer der ofsicielle Vertreter italienisch