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Deutsche Rundschau.
Simrock war, das werden die, die sich seiner erinnern, zuerst sagen, ein liebenswürdiger Mann. Er war ein Gelehrter. Eine bürgerliche Natur. Man war gut bei ihm ausgenommen. Sein Haus, wie wir es nur in Deutschland verstehen, war ein gastliches Haus. Aber es saß Karl Simrock auch der Schalk im Nacken, ein sehr unschuldiger Schalk, aber immerhin einer. Wie wußte er zu necken und zu scherzen! Er liebte, wie jeder gute Deutsche, sein Vaterland, zugleich aber mit ganz besonderer Liebe die Stelle, wo er zu Hause war. Bonn war der Gegenstand seiner Verehrung. Jeder Zoll rheinischen Landes stand, seinen Gedanken nach, unter seiner speciellen Vormundschast. Aus diesem Gefühle dichtete er und vollbrachte er seine gelehrte Arbeit: das rheinische Dasein war wie eine große Inschrift im Buche der Natur, an deren Entzifferung er arbeitete. In diesem Geiste beschrieb er endlich das Thal, durch das der Rhein seinen glorreichen Laus vollbringt. Simrock's Rheinland ist eines der schönsten Bücher, das zur Verherrlichung Deutschlands geschrieben ist.
Die sünszig Auflagen der Nibelungen wollen etwas besagen. Jhrerzeit ist die herrliche Dichtung sicherlich nicht von so Vielen gelesen worden als in unserem Jahrhundert. Simrock hat den besten Ton sür ihre Strophen gesunden, wie Voß den sür die Gedichte Homerts. Es mußten viele Elemente sür die Lösung dieser Aufgabe Zusammenkommen. Simrock kannte die Accente der Volkssprache. Er zuerst bildete aus den verschiedenen Redactionen des Gedichtes eine Einheit. Er hat sich immer gegen die die Einheit der Nibelungen zerstörenden Theorien gesträubt, wie auch Wilhelm Grimm gethan. Das Wichtigste war ihm nicht, heraus zu bekommen, wie das Gedicht etwa entstanden sei, sondern die Sorge, daß es neu ins Volk dringe. Die Nibelungen werden von unseren Zeiten ab die Schicksale Deutschlands miterleben wie Homer's Ilias und Odyssee die Griechenlands. Viele unserer besten Dichtungen gewinnen heute erst die Verbreitung, die ihnen die eigenen Entstehungstage nicht geben konnten. Walther von der Vogelweide hat heute erst sein Denkmal erhalten. Auch dessen Gesänge hat Simrock übersetzt. Parcisal und Jwein und Tristan hat er unserer Sprache übertragen.
Walther von der Vogelweide ist in Bozen eine Statue errichtet worden. Wie freudig und klar ragt der alte Sänger in ewiger Jugend nun dort in den klaren Himmel hinein. Am Rhein aber ist ein Denkmal noch zu errichten übrig, an dessen Sockel zu lesen stände:
Dem rheinischen Dichter
Das rheinische Volk.
L, G.
Aus Schesfel's Nachlaß.'
Joseph Victor von^Scheffel. Gedichte aus dem Nachlaß. 1889. Aus Heimath und Fremde. 1892. Josephine Scheffel. Gedichte. Stuttgart, Bonz. 1892.
Unter welchem Gesichtspunkte die Veröffentlichungen aus dem Nachlasse Schesfel's betrachtet sein wollen, hat der Herausgeber, Freiherr Victor von Scheffel in München, in einer überaus sympathischen Vorrede zu der zweiten Sammlung ausgesprochen. An sich hat es ja seine Bedenken, poetische Versuche, die der Verfasser selbst vom Drucke ansschloß, dennoch dem Publicum zugänglich zu machen. Aus der anderen Seite aber hat bei dem lebendigen Interesse, das ein außerordentlich großer Kreis der Verehrer an Schesfel's Entwicklungsgang nimmt, dieser poetische Nachlaß aus ein tiefes biographisches Interesse zu rechnen. Dann aber erhalten wir doch auch eine ganze Reihe wirklich poetisch ergreifender Stücke, die Scheffel aus zufälligen oder persönlichen Gründen ausschied. Einige schöne Trompeterlieder und Aventiuregesänge sind vielleicht