Aus Scheffel's Nachlaß.
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nur darum uugedruckt geblieben, weil der Verfasser ein Gleichgewicht zwischen epischen und lyrischen Elementen in jenen Werken anstrebte, und zwei seelenvolle Gedichte an die früh geschiedene Schwester blieben sicher nur ungedruckt, weil er seine tiefste Wunde der Welt nicht zeigen mochte. Auch das aber, wovon Scheffel selbst geurtheilt haben mag, es habe als Improvisation, Gelegenheitsgedicht oder Festspiel seine Bestimmung erfüllt, interessirt uns als Probe, wie in seinem durchaus originalen Gemüthe die Wirklichkeit sich spiegelte, und echt Scheffel'sche Wendungen sind immer willkommen, weil auch die minder gelungenen uns an die bekannten unsterblichen erinnern, die seit lange uns erfreut haben. Den Mitlebenden und Gleichaltrigen aber wird es eine Freude sein, hier ein poetisches Tagebuch zu erhalten, in dem der Dichter in frischer und kecker Weise seine Eindrücke von den Ereignissen ausspricht, die wir alle erlebten. Die Gedichte „Aus Heimath und Fremde" beginnen mit einem Sonette aus dem Jahre 1844, in dem der aus Heidelberg zum Feste nach Hause gekommene Student das altbekannte Glockengeläute des ersten Christtages begrüßt und dabei schwermüthig seines Kinderglaubens gedenkt und sich gemahnt fühlt an das verklungene Glück. Welchen Eindruck die in Berlin noch herrschende Hegel'sche Philosophie im Wintersemester 1845—46 aus ihn machte, berichten dann die Gedichte aus dem Nachlaß. Süddeutschland ist ihm die Sinnenwelt, die Heimath, und Berlin die Hauptstadt des Begriffes, wo er als fechtender Handwerksbursche von Kategorie zu Kategorie geschickt wird, bis ihn für chtbar Heimweh nach dem primitiven Einzelleben ergreift „und er eines Morgens den Ranzen schnürt, und er brennt aus des Begriffes Hauptstadt durch und prügelt noch zum Abschied mehrere Kategorien, die ihm auf dem Weg begegnen." Das ist die Stimmung, aus der das Guanolied geboren wurde. Aus der juristischen Practicanten- zeit haben wir ungern das Lied vom Sekretary vermißt, dagegen fließt die poetische Tradition aus Italien um so reicher. Unter den Trompeterliedern ist das Lied Margarethens wohl das schönste: „Er sah mich an so fragend, so treu, so stumm, so still, er sah mich an — ich weiß nicht, was er nur von mir will." Aehnliche Perlen zur Aventiure wird man gleichfalls finden, und vor Allem gehört ein „Maimorgengang" vom Jahre 1869 zu dem Schönsten, was Scheffel gesungen. „Mit weichem, träumerischem Schläfern strömt rings ein lauer Frühlingsdust, und mit den Faltern und den Käsern durchfliegt ein Blüthenschnee die Lust; die Halden blühen, die jüngst noch dorrten, sielst es ist Alles neu geworden." Die Herausgabe der Gedichte von Scheffel's Mutter motivirt der Enkel damit, daß aus den zahlreichen Biographien und Plaudereien über ihren Sohn hie und da ein unvollständiges oder unrichtiges Bild der Mutter entstanden sein möchte. Man darf dem Herausgeber diesen Act der Pietät danken, denn das Buch macht den allerbesten Eindruck. Nicht nur daß Josephine Scheffel eine ungewöhnliche poetische Begabung besitzt und mühelos wohlklingende Verse zu schreiben weiß, vor Allem machen wir die Bekanntschaft einer Frau, die das Herz aus dem rechten Flecke hat und das Leben bei tiefer Frömmigkeit mit durchaus gesundem, praktischem Auge betrachtet. Gar manches fromme Lied richtet sich direct an ihren Sohn, so wenn sie ihm zum zehnten Geburtstage eine Schwarzwälderuhr für seine Stube beschert: „Nimm sie hin zum Angebinde! Und blickst Du nach ihr zur Wand, denke, lieber Sohn, der Zeiger, er sei Gottes eigene Hand. Gottes Hand — hinweisend stille aus die Stunde, die sie schenkt. Niemals wird die Zeit mißbrauchen, wer mit Ernst dies Wort bedenkt."
Ganz in Hebel's Sinne, an dem sie vornehmlich sich bildete, sind diese Verse gedichtet, und man legt das Buch mit der Empfindung aus der Hand, daß in der Enge und Beschränktheit einer kleinen Stadt sich vor vierzig Jahren ein Gemüthsleben entfalten konnte, so rein und so reich, wie man es in der großstädtischen Gesellschaft von heute, trotz ihrer Bildungswuth und ihrer vehementen Menschenliebe, vergeblich suchen würde.
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