Heft 
(1892) 70
Seite
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Deutsche Rundschau.

v/S. Angela Borgia. Novelle von Conrad

Ferdinand Meyer. Leipzig, H. Haessel.

1891.

Den Lesern derDeutschen Rundschau" ist die vorliegende Novelle aus unserem letzten October- und Novemberheft gut genug bekannt. Und nicht nur diese Erzählung, auch die ge­summte Erscheinung des Dichters kennen sie seit einer Reihe von Jahren genau und gut: seine in stolzer Besonderheit, stark und bedächtig und mit der Sicherheit des Meisters bewußt schaffende Kunstübung, die geschliffene Feinheit und blitzende Sauberkeit seines Vortrags, die zum Großen strebende, in den Großen der Ver­gangenheit nur lebende, kraftvolle Phantasie. Wer so fest und so unbeirrt seinen Weg geht, wer die Eigenart seiner poetischen Natur so klar und so rund ausprägt, dem gegenüber ist ein Kritisiren des Einzelnen, ein Verzeichnen von Lob und Tadel für vermeintlich mehr und minder Gelungenes kaum am Platze wie man denn überhaupt bei vorschreitender Einsicht von dem Moralisiren des Recensententhums immer mehr abkommen wird, der bedeutenden Persönlich­keit gegenüber, und wie man den lauten Merkerstab Beckmesser's vertauschen wird mit den anspruchs­loseren Werkzeugen eines bedächtig forschen­den Psychologen. Je größer die Freiheit ist, mit welcher der künstlerisch Empfangende dem souveränen Schalten eines Meisters zusieht, desto größer auch und reiner wird sein Genuß sein; und deshalb bedrängt uns imFalle C.F. Meyer's die Frage gar nicht, welche manchen: Leser wohl aufsteigen mag: ob diese Figuren der Erzählung, diese Lucrezia Borgia voran, vor­der Wahrheit der Ueberlieferung denn bestehen können? Die Dichtung ist philosophischer als > die Geschichte, hat schon Aristoteles gesagt; und noch stets haben neben der gelehrten Erkenntniß der Historiker die lebendig geschauten Gestalten der Poeten sich behauptet. Schiller'sMaria Stuart" lebt, und sie steht nicht freier der Ueberlieferung gegenüber, als Meyer's Lucrezia Borgia, dieses anmuthig-unheimliche Wesen aus Sünde und Reue gemischt, aus Schönheit und Ruchlosigkeit und heidnischer Unschuld. Wirklich­keit und Märchenzauber, Beobachtungen des Lebens, ins Große hinaufstilisirt, und die Phantasiewelt eines Poeten sie verbinden sich in feinen Linien, kunstvoll, untrennbar; und weil der Erzähler selber an diese historischen Visionen glaubt, die er so plastisch, so zwingend vor sich sieht, so bannt er auch uns in das Reich dichterischer Träume hinein, wir sind ge­fesselt und glauben.

o/?. Unwiederbringlich. Roman von Theo­dor Fontane. Berlin, Wilhelm Hertz. 1892.

Wir haben Fontane's Roman nur wenige Worte zum Geleit mitzugeben; unseren Lesern ist die nachdenkliche Geschichte, von dem lebens­frohen Grafen Holk und der melancholischen Gräfin Christine, von der Kopenhagener alten Prinzessin und der jungen schwedischen Hofdame, aus derRundschau" her noch in Erinnerung, und sie werden ihr auch in der Buchausgabe gern wieder begegnen. Unter den Alten unserer Literatur nimmt Fontane eine besondere und be­vorzugte Stellung ein: während eine rücksichtslos >

vordringende neue Generation manches bejahrte Renommee verjährt genannt, während sie Man­chen, der schon den Nachruhm verbrieft zu haben meinte, gewogen hat und zu leicht befunden, ver­einigen sich, Fontane zu ehren, alle sogenannten Parteien, und seinen Werken ergeht es, wie gutem Wein: je älter sie wurden, desto besser nur mundeten sie. In der vorliegenden Er­zählung hat Fontane gezeigt, wie sich auch ge­wagte Dinge so sagen lassen, daß ein Jeder sie hören mag; frei von Prüderie, aber auch frei von jedem überflüssigen Ausbreiten heikler Situationen, mit voller dichterischer Unbefangen­heit erzählt er von den Abenteuern der schönen Frau Hansen und der unternehmungslustigen Ebba Rosenberg, Linie Rosenberg von Filehne; er erzählt die Geschichten vom märchenhaften Kaiser von Siam, welcher Kapitänsfrauen mit Perlenbändern beschenkt, und die etwas weniger märchenhaften Erlebnisse der klugen Ebba, raeta Eva, er erzählt sie mit der feinen Ironie eines Weltmannes und der Arglosigkeit eines guten Kindes zugleich; und er setzt zu dieser Kopenhagener Gesellschaft von naiver Frivolität die schwere protestantische Welt in: Schloß an der Ostsee in Contrast, diese zwischen Prediger und Seminardirector und ältlicher Gesellschaftsdame fromm und brav thronende Hausehre des armen Holk. Mit voller Objectivität stellt er das Hüben und das Drüben anschaulich gegeneinander und läßt gerade aus dieser schlichten Sachlichkeit die beste Wirkung der Er­zählung hervorgehen: ein halbes Glück zerbricht, im Widerstreit von männlicher Schwäche und weiblicher Herbheit, Zerstörtes versöhnlich wieder herzustellen, mißlingt, und zwei Menschenleben sind verwüstet und verweht unwiederbringlich, s. Argenis. Politischer Roman von: Anfänge des siebzehnten Jahrhunderts. Aus dem La­teinischen des Johann Barclay, übersetzt von I)r. Gusta v Waltz. Wassermann, Mün­chen. 1891.

Der Verfasser derArgenis" war Johann Barclay, ein in Frankreich geborener Schotte, dessen Vater als Anhänger der Maria Stuart seine Heimath batte verlassen müssen, und der dann bei Jacob I. Geheimsecretär und Gesandter an verschiedenen Höfen wurde. Gemäß dieser Lebensführung betrachtet er die politischen Kämpfe der Hugenottenzeit mit den Augen eines katholischen Politikers, der die Ausschreitung der Guisen mißbilligt, aber die Hugenotten haßt und verachtet. Sein RomanArgenis", Ludwig XIII. gewidmet, hat in griechischem Gewände die Kämpfe der drei Heinriche, Valois, Navara und Guise, zum Thema genommen, und eine Reihe von Charakterschilderungen, wie die des Cardinals Barberinus Jbburanes), des späteren Urban VIII., des Philippus II. (Li- phippus), des Königs Heinrich III. (Meleander) sind von bleibendem geschichtlichen Werthe. Das griechische Kostüm streift sich leicht ab, und es bleibt dann die poetische Darstellung der Hugenottenkriege, deren einzelne Scenen mit großer Lebendigkeit geschildert sind und zuweilen den Charakter des Selbsterlebten tragen. An poetischer Kraft bleibt diese Darstellung der französischen Religionskriege allerdings hinter