Heft 
(1892) 70
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Deutsche Rundschau.

dies auch von unserem Verfasser gilt, so müssen wir doch hinzufügen, daß er alles Italienische mit Hellen, klaren, deutschen Augen angeschaut hat, mit tiefer Sympathie zwar und wer würde sie nicht theilen? ebenso aber mit dem Ver- ständniß, das jeglichen Ueberschwang ausschließt. Einfach, natürlich erzählt oder beschreibt er, mit jener Munterkeit, jenem Frohsinn des Reisenden, der sich von den Geschäften des Alltags frei weiß. Wer in Italien gewesen, könne sich nie mehr ganz unglücklich fühlen, heißt es; er dagegen scheint zu sagen: seht, wie man sich glücklich fühlt, wenn man in Italien ist! Diese Unmittelbarkeit der Stim­mung überträgt sich auf uns, die Leser. Der Glanzpunkt seines Buches, wie sie den eigent­lichen Mittelpunkt desselben ausmachen, sind die Schilderungen Siciliens, seiner Landschaften, seiner Städte, seiner Alterthümer; der Verfasser zeigt sich als ein guter Kenner der Vergangenheit und ihrer Literatur, aber er liebt vor Allem das blühende Leben der Gegenwart, das er uns in zahlreichen Beispielen vorsührt, in allerlei persönlichen Bekanntschaften mit den Landes­kindern und manchen kleinen Abenteuern unter­wegs, immer mit Rücksicht auf die Sitten und Gewohnheiten des Volkes, auf die zeitgenössische Literatur. Die großen und zuweilen über­wältigenden Anblicke, die sich ihm bieten, ver­decken ihm nicht das Elend, das sich gerade hier vielfach darunter verbirgt, und in beredten Worten ruft er der italienischen Regierung zu, daß durch Arbeiterschutz und Unterricht geholfen werden müsse. Doch siegreich über Allem ist die Schönheit der Insel, wo dem Wanderer noch am 1. November die Sonne sommerlich schien: wie in jenem Thiergartenbild ist sie auch in diesem Buche.

(>. Deutsche National-Literatur. Historisch­kritische Ausgabe. Unter Mitwirkung von Or. Arnold, Or. G. Balke re. rc. Heraus­gegeben von Joseph Kürschner. Union deutsche Verlagsgesellschast in Stuttgart.

Dieses, schon seinem bloßen Umfange nach erstaunliche Werk nähert sich seiner Vollendung: 701 Lieferungen liegen uns vor. Sie enthalten in der That so ziemlich das, was der Titel sagt: Die deutsche National-Literatur, von ihren frühesten Anfängen, die mittelalterliche Dich­tung, Volksepos und Kunstepos, Heldengesang und Minnegesang, die Literatur des Refor- matianszeitalters in Vers und Prosa, geistliches und Volkslied, Thierfabeln, Schwänke, Dramen und Romane, die Dichterschulen des siebzehnten, die Classiker des achtzehnten Jahrhunderts, Stürmer und Dränger, Hainbund, romantische Schule kurz, eine ganze, systematisch geordnete Bibliothek, und zumeist in vortrefflichen Aus­gaben, der wir in dieser Art und Vollständig­keit nichts an die Seite zu setzen wüßten. Mit gutem Verständniß sind die Gruppen vereinigt, die Führer der einzelnen Richtungen, die Re­präsentanten der Uebergangsperioden in ge­schickter Auswahl charakterisirt, die vermitteln­den und verbindenden Glieder, wenn man so sagen darf, in dem Massiv unserer nationalen Literatur, welche sich hier in wahrhaft impo­santer Mächtigkeit vor uns erhebt. An einer solchen encyklopädischen Leistung gemessen, kann

man den Unternehmungsgeist des Herausgebers, seine Thatkraft und seinen unermüdlichen Eifer nicht genug bewundern; dem großen Publicum, an das er sich wendet und auf dessen Theil- nahme er rechnen darf, wird hier eine Samm­lung geboten, deren fast zweihundert Bände nicht nur den Entwicklungsgang der deutschen National-Literatur, sondern ihrem wesentlichen Inhalte nach diese selbst geben.

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Die Sammlung, von der uns vier kleine Bände vorliegen (erschienen sind deren vierund­zwanzig) will Leben und Werke der berühmtesten Schriftsteller einem großen Publicum nahebringen. Die ästhetisch-analysirende Seite ist ausführ­licher, als das Biographische. Unter den jüngsten Arbeiten ist Rod'sDante" wohl mit der größten Gelehrsamkeit geschrieben, sehr kritisch und sorgsam; durch Bizos lernen wir die literarischen Strömungen im Frankreich des 16. Jahrhunderts, durch Crozals das Hof- lebeu unter Ludwig XIV. und dem Regenten in angenehmer Weise kennen; immer stehen dort der Klassicist Ronsard, hier Saint-Simon, der geistreiche Muster-Höfling, im Mittelpunkt der Betrachtung. lieber Goethe hören wir Deutschen von Firmery naturgemäß nichts Neues; Hauptquelle für das Biographische bleibt dem VerfasserWahrheit und Dichtung", von Briefen und Tagebüchern dagegen scheint er wenig zu kennen. Uebrigens verständiges Urtheil und flüssige Schreibart.

z.-l. Kaufleute und Schiffer. Erzählungen und Bilder aus dem Handels- und Seeleben. Von Philipp Kniest. Zwei Bände. Olden­burg, Gerhard Stalling. 1892.

Die drei Hansestädte und die zu ihnen ge­hörigeWasserkante", das seefahrende und handel­treibende Volk friesischen oder sächsischen Stam­mes: zäh, knorrig, wetterfest, weniger aus schönes Reden und feine Bildung als auf thatkrästiges Handeln gestellt, unter seiner rauhen und schwer­fälligen Außenseite mit unverbrüchlicher Treue, unversieglichem Humor und festem Gottvertrauen begabt: das ist das Gebiet, welches der Ver­fasser kennt und beherrscht wie kein Anderer- Von seinen früheren Werken:Von der Wasser­kante" undWind und Wellen" liegt das erste nach wenig Jahren schon in vierter Auflage vor: ein in der Hochfluth unserer stets wachsen­den Erzählungs-Literatur seltener Fall, der sich dadurch erklärt, daß die Kniest'schen Erzählungen wegen ihrer ungemeinen Lebenswahrheit, ihrer sittlichen Reinheit und hübschen Darstellung für Jung und Alt anziehend sind, recht eigentlich ein Lesestoff fürs deutsche Haus, in welchem der Binnenländer erfährt, wie man an den Küsten der Nord- und Ostsee lebt, und der hanseatische Reichsbürger mit Vergnügen sein Spiegelbild beschaut.

Moderner Todtentanz. Kohlen-Skizzen von Karl Prüll. Vierte Sammlung, Berlin, Lüstenöder. 1891.

Der Verfasser ist ein ernster, den tiefsten Daseinsproblemen zugewandter Mann, selbst