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Deutsche Rundschau.
dabei ließ er sich, den Tabakskasten vor sich herschiebend, in eine Sophaecke nieder. „So! Marcell . . . Und nun nimm einen Stuhl und setz' Dich und schieße los. Was gibt es?"
„Das alte Lied."
„Corinna?"
„Ja."
„Ja, Marcell, nimm mir's nicht übel, aber das ist ein schlechter Liebhaber, der immer väterlichen Vorspann braucht, um von der Stelle zu kommen. Du weißt, ich bin dafür. Ihr seid wie geschaffen für einander. Sie übersieht Dich und uns Alle; das Schmidt'sche strebt in ihr nicht bloß der Vollendung zu, sondern, ich muß das sagen, trotzdem ich ihr Vater bin, kommt auch ganz nah' ans Ziel. Nicht jede Familie kann das ertragen. Aber das Schmidt'sche setzt sich aus solchen Ingredienzien zusammen, daß die Vollendung, von der ich spreche, nie bedrücklich wird. Und warum nicht? Weil die Selbstironie, in der wir, glaube ich, groß sind, immer wieder ein Fragezeichen hinter der Vollendung macht. Das ist recht eigentlich das, was ich das Schmidt'sche nenne. Folgst Du?"
„Gewiß, Onkel. Sprich nur weiter."
„Nun sieh, Marcell, Ihr paßt ganz vorzüglich zusammen. Sie hat die genialere Natur, hat so den letzten Knips von der Sache weg, aber das gibt keineswegs das Uebergewicht im Leben. Fast im Gegentheil. Die Genialen bleiben immer halbe Kinder, in Eitelkeit besangen, und verlassen sich immer aus Intuition und bon 86ns und Sentiment und wie all die französischen Worte heißen mögen. Oder wir können auch auf gut Deutsch sagen, sie verlassen sich auf ihre guten Einfälle. Damit ist es nun aber so so; manchmal wetterleuchtet es freilich eine halbe Stunde lang oder auch noch länger, gewiß, das kommt vor; aber mit einem Mal ist das Elektrische wie verblitzt, und nun bleibt nicht bloß der Esprit aus wie Röhrwasser, sondern auch der gesunde Menschenverstand. Ja, der erst recht. Und so ist es auch mit Corinna. Sie bedarf einer verständigen Leitung, d. h. sie bedarf eines Mannes von Bildung und Charakter. Das bist Du, das hast Du. Du hast also meinen Segen; alles Andere mußt Du Dir selber besorgen."
„Ja, Onkel, das sagst Du immer. Aber wie soll ich das anfangen? Eine lichterlohe Leidenschaft kann ich in ihr nicht entzünden. Vielleicht ist sie solcher Leidenschaft nicht einmal fähig; aber wenn auch, wie soll ein Vetter seine Cousine zur Leidenschaft anstacheln? Das kommt gar nicht vor. Die Leidenschaft ist etwas Plötzliches, und wenn man von seinem fünften Jahr an immer zusammen gespielt und sich, sagen wir, hinter den Sauerkrauttonnen eines Budikers oder in einem Torf- und Holzkeller unzählige Male stundenlang versteckt hat, immer gemeinschaftlich und immer glückselig, daß Richard oder Arthur, trotzdem sie dicht um Einen herum waren, Einen doch nicht finden konnten, ja, Onkel, da ist von Plötzlichkeit, dieser Vorbedingung der Leidenschaft, keine Rede mehr."
Schmidt lachte. „Das hast Du gut gesagt, Marcell, eigentlich über Deine Mittel. Aber es steigert nur meine Liebe zu Dir. Das Schmidt'sche steckt doch auch in Dir und ist nur unter dem steifen Wedderkopp'schen etwas vergraben.