Frau Jenny Treidel.
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Und das kann ich Dir sagen, wenn Du diesen Ton Corinna gegenüber festhültst, dann bist Du durch, dann hast Du sie sicher."
„Ach, Onkel, glaube doch das nicht. Du verkennst Corinna. Nach der einen Seite hin kennst Du sie ganz genau, aber nach der anderen Seite hin kennst Du sie gar nicht. Alles, was klug und tüchtig und, vor Allem, was espritvoll an ihr ist. das siehst Du mit beiden Augen, aber was äußerlich und
modern an ihr ist, das siehst Du nicht. Ich kann nicht sagen, daß sie jene
niedrigstehende Gefallsucht hat, die Jeden erobern will, er sei wer er sei; von dieser Koketterie hat sie nichts. Aber sie nimmt sich erbarmungslos Einen aufs Korn, Einen, an dessen Specialeroberung ihr gelegen ist, und Du glaubst gar nicht, mit welcher grausamen Consequenz, mit welcher infernalen Virtuosität sie dies von ihr erwählte Opfer in ihre Fäden einzuspinnen weiß."
„Meinst Du?"
„Ja, Onkel. Heute bei Treibel's hatten wir wieder ein Musterbeispiel davon. Sie saß zwischen Leopold Treibel und einem Engländer, dessen Namen sie Dir
ja schon genannt hat, einen Mr. Nelson, der, wie die meisten Engländer aus
guten Häusern, einen gewissen Naivitäts-Charme hatte, sonst aber herzlich wenig bedeutete. Nun hättest Du Corinna sehen sollen. Sie beschäftigte sich anscheinend mit Niemand Anderem, als diesem Sohn Albion's, und es gelang ihr auch, ihn in Staunen zu setzen. Aber glaube nur ja nicht, daß ihr an dem flachsblonden Mr. Nelson im Geringsten gelegen gewesen wäre; gelegen war ihr bloß an Leopold Treibel, an den sie kein einziges Wort, oder wenigstens nicht viele, direct richtete, und dem zu Ehren sie doch eine Art von französischem Proverbe aufführte, kleine Comödie, dramatische Scene. Und wie ich Dir versichern kann, Onkel, mit vollständigstem Erfolg. Dieser unglückliche Leopold hängt schon lange an ihren Lippen und saugt das süße Gift ein, aber so wie heute habe ich ihn doch noch nicht gesehen. Er war von Kopf bis zu Fuß die Helle Bewunderung, und jede Miene schien ausdrücken zu wollen: „Ach, wie langweilig ist Helene" (das ist, wie Du Dich vielleicht erinnerst, die Frau seines Bruders), „und wie wundervoll ist diese Corinna."
„Nun gut, Marcell, aber das Alles kann ich so schlimm nicht finden. Warum soll sie nicht ihren Nachbar zur Rechten unterhalten, um aus ihren Nachbar zur Linken einen Eindruck zu machen? Das kommt alle Tage vor, das sind so kleine Capricen, an denen die Frauennatur reich ist."
„Du nennst es Capricen. Onkel. Ja, wenn die Dinge so lägen! Es liegt aber anders. Alles ist Berechnung: sie will den Leopold heirathen."
„Unsinn, Leopold ist ein Junge."
„Nein, er ist fünfundzwanzig, gerade so alt wie Corinna selbst. Aber wenn er auch noch ein bloßer Junge wäre, Corinna hat sich's in den Kops gesetzt und wird es durchführen."
„Nicht möglich."
„Doch, doch. Und nicht bloß möglich, sondern ganz gewiß. Sie hat es mir, als ich sie zur Rede stellte, selber gesagt. Sie will Leopold Treibel's Frau werden, und wenn der Alte das Zeitliche segnet, was doch, wie sie mir versicherte, höchstens noch zehn Jahre dauern könne, und wenn er in seinem Zossener