Frau Jenny Treibel.
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Rolle nicht einmal auf an einem Tage, wo ich ihr einen großen Gefallen gethan und ihr den Mr. Nelson hierher eingeladen habe, bloß damit ihr die Plätt- bolzen nicht kalt werden."
Treibel lehnte sich weiter zurück in den Stuhl und blies kunstvoll einen kleinen Ring in die Luft. „Ich glaube nicht, daß Du Recht hast. Aber wenn Du Recht hättest, was thäte es? Otto lebt seit acht Jahren in einer glücklichen Ehe mit Helenen, was auch nur natürlich ist; ich kann mich nicht entsinnen, daß irgend wer aus meiner Bekanntschaft mit einer Hamburgerin in einer unglücklichen Ehe gelebt hätte. Sie sind alle so zweifelsohne, haben innerlich und äußerlich so 'was ungewöhnlich Gewaschenes und bezeugen in Allem, was sie thun und nicht thun, die Richtigkeit der Lehre vom Einstuß der guten Kinderstube. Man hat sich ihrer nie zu schämen, und ihrem zwar bestrittenen, aber im Stillen immer gehegten Herzenswünsche, „für eine Engländerin gehalten zu werden", diesem Ideale kommen sie meistens sehr nah. Indessen das mag auf sich beruhen. So viel steht jedenfalls fest, und ich muß es wiederholen, Helene Munk hat unfern Otto glücklich gemacht, und es ist mir höchst wahrscheinlich, daß Hildegard Munk unsren Leopold auch glücklich machen würde, ja noch glücklicher. Und wär' auch keine Hexerei, denn einen besseren Menschen als unsren Leopold gibt es eigentlich überhaupt nicht; er ist schon beinah eine Suse ..."
„Beinah?" sagte Jenny. „Du kannst ihn dreist für voll nehmen. Ich weiß nicht, wo beide Jungen diese Milchsuppenschaft herhaben. Zwei geborene Berliner, und sind eigentlich, wie wenn sie von Herrnhut oder Gnadenfrei kämen. Sie haben doch beide 'was Schläfriges, und ich weiß Wirklich nicht, Treibel, auf wen ich es schieben soll . . ."
„Auf mich, Jenny, natürlich auf mich ..."
„Und wenn ich auch sehr Wohl weiß," fuhr Jenny fort, „wie nutzlos es ist, sich über diese Dinge den Kopf zu zerbrechen, und leider auch weiß, daß sich solche Charaktere nicht ändern lassen, so weiß ich doch auch, daß man die Pflicht hat, da zu helfen, wo noch geholfen werden kann. Bei Otto haben wir's versäumt und haben zu seiner eignen Temperamentlosigkeit diese temperamentlose Helene hinzugethan, und was dabei herauskommt, das siehst Du nun an Lizzi, die doch die größte Puppe ist, die man nur sehen kann. Ich glaube, Helene wird sie noch, auf Vorderzähne-zeigen hin, englisch abrichten. Nun, meinetwegen. Aber ich bekenne Dir, Treibel, daß ich an einer solchen Schwiegertochter und einer solchen Enkelin gerade genug habe, und daß ich den armen Jungen, den Leopold, etwas passender als in der Familie Munk unterbringen möchte."
„Du möchtest einen forschen Menschen aus ihm machen, einen Cavalier, einen Sportsman ..."
„Nein, einen forschen Menschen nicht, aber einen Menschen überhaupt. Zum Menschen gehört Leidenschaft, und wenn er eine Leidenschaft fassen könnte, sieh, das wäre 'was, das würd' ihn 'rausreißen, und so sehr ich allen Scandal hasse, ich könnte mich beinah freuen, wenn's irgend so 'was gäbe, natürlich nichts Schlimmes, aber doch wenigstens 'was Apartes."