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Deutsche Rundschau.
„Male den Teufel nicht an die Wand, Jenny. Daß er sich aufs Entführen einläßt, ist mir, ich weiß nicht, soll ich sagen leider oder glücklicherweise, nicht sehr wahrscheinlich; aber man hat Exempel von Beispielen, daß Personen, die zum Entführen durchaus nicht das Zeug hatten, gleichsam, wie zur Strafe dafür, entführt wurden. Es gibt ganz verflixte Weiber, und Leopold ist gerade schwach genug, um vielleicht einmal in den Sattel einer armen und etwas emancipirten Edeldame, die natürlich auch Schmidt heißen kann, hineingehoben und über die Grenze geführt zu werden..."
„Ich glaub' es nicht," sagte die Commerzienräthin, „er ist leider auch dafür zu stumpf." Und sie war von der Ungefährlichkeit der Gesammtlage so fest überzeugt, daß sie nicht einmal der vielleicht bloß zufällig, aber vielleicht auch absichtlich gesprochene Name „Schmidt" stutzig gemacht hatte. „Schmidt", das war nur so herkömmlich hingeworfen, weiter nichts, und in einem halb über- müthigen Jugendanfluge gefiel sich die Räthin sogar in stiller Ausmalung einer Escapade: Leopold, mit aufgesetztem Schnurrbart, auf dem Wege nach Italien und mit ihm eine Freiin aus einer pommerschen oder schlesischen Verwogenheitsfamilie, die Reiherseder am Hut und den schottisch carirten Mantel über den etwas fröstelnden Liebhaber ausgebreitet. All' das stand vor ihr, und beinah traurig sagte sie zu sich selbst: „Der arme Junge. Ja, wenn er dazu das Zeug hätte!"
Es war um die neunte Stunde, daß die alten Treibel's dies Gespräch führten, ohne jede Vorstellung davon, daß um eben diese Zeit auch die aus ihrer Veranda das Frühstück nehmenden jungen Treibel's der Gesellschaft vom Tage vorher gedachten. Helene sah sehr hübsch aus, wozu nicht nur die kleidsame Morgentoilette, sondern auch eine gewisse Belebtheit in ihren sonst matten und beinah vergißmeinnichtblauen Augen ein Erhebliches beitrug. Es war ganz ersichtlich, daß sie bis diese Minute mit ganz besonderem Eifer auf den halb verlegen vor sich hinsehenden Otto eingepredigt haben mußte; ja, wenn nicht Alles täuschte, wollte sie mit diesem Ansturm eben sortfahren, als das Erscheinen Lizzi's und ihrer Erzieherin, Fräulein Wülsten, dies Vorhaben unterbrach.
Lizzi, trotz früher Stunde, war schon in vollem Staate. Das etwas gewellte blonde Haar des Kindes hing bis auf die Hüften herab; im Uebrigen aber war Alles weiß, das Kleid, die hohen Strümpfe, der Ueberfallkragen, und nur um die Taille herum, wenn sich von einer solchen sprechen ließ, zog sich eine breite rothe Schärpe, die von Helenen selbstverständlich nie „rothe Schärpe", sondern immer nur „xinü-eoloursä seark" genannt wurde. Die Kleine, wie sie sich da präsentirte . hätte sofort als symbolische Figur auf den Wäscheschrank ihrer Mutter gestellt werden können, so sehr war sie der Ausdruck von Weißzeug mit einem rothen Bändchen drum. Lizzi galt im ganzen Kreise der Bekannten als Musterkind, was das Herz Helenens einerseits mit Dank gegen Gott, andrerseits aber auch mit Dank gegen Hamburg erfüllte, denn zu den Gaben der Natur, die der Himmel hier so sichtlich verliehen, war auch noch eine Mustererziehung hinzugekommen, wie sie eben nur die Hamburger Tradition geben konnte. Diese