Heft 
(1892) 70
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Frau Jenny Treibei.

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eben sieben, als er das schlesische Thor passirte. Wenn ihn dies im Sattelsein ohnehin schon an jedem Morgen erfreute, so besonders heut, wo die Vorgänge des voraufgegangenen Abends, am meisten aber die zwischen Mr. Nelson und Corinna geführten Gespräche noch stark in ihm nachwirkten, so stark, daß er mit dem ihm sonst Wenig verwandten Ritter Karl von Eichenhorst wohl den ge­meinschaftlichen Wunsch desSich Ruhe-Reitens" in seinem Busen hegen durste. Was ihm equestrisch dabei zur Verfügung stand, war freilich nichts weniger als ein Dänenroß voll Kraft und Feuer, sondern nur ein schon lange Zeit in der Manege gehender Graditzer, dem etwas Extravagantes nicht mehr zugemuthet werden konnte. Leopold ritt denn auch Schritt, so sehr er sich wünschte, davon­stürmen zu können. Erst ganz allmälig siel er in einen leichten Trab und blieb darin, bis er den Schasgraben und gleich danach den in geringer Entfernung gelegenenschlesischen Busch" erreicht hatte, drin am Abend vorher, wie ihm Johann noch im Momente des Abreitens erzählt hatte, wieder zwei Frauen­zimmer und ein Uhrmacher beraubt worden waren.Daß dieser Unfug auch gar kein Ende nehmen will! Schwäche, Polizeiversäumniß." Indessen bei Hellem Tageslichte bedeutete das Alles nicht allzu viel, weshalb Leopold in der an­genehmen Lage war, sich der rings umher schlagenden Amseln und Finken un­behindert freuen zu können. Und kaum minder genoß er, als er aus dem schlesischen Busche" wieder heraus.war, der freien Straße, zu deren Rechten sich Saat und Kornfelder dehnten, während zur Linken die Spree mit ihren nebenher laufenden Parkanlagen den Weg begrenzte. Das Alles war so schön, so morgen­srisch, daß er das Pferd wieder in Schritt fallen ließ. Aber freilich, so langsam er ritt, bald war er trotzdem an der Stelle, wo, vom andern Ufer her, das kleine Fährboot herüberkam, und als er anhielt, um dem Schauspiele besser Zusehen zu können, trabten von der Stadt her auch schon einige Reiter aus der Chaussee heran, und ein Pserdebahnwagen glitt vorüber, drin, so viel er sehen konnte, keine Morgengäste für Treptow saßen. Das war so recht, was ihm paßte, denn sein Frühstück im Freien, was ihn dort regelmäßig erquickte, war nur noch die halbe Freude, wenn ein halb Dutzend echte Berliner um ihn herumsaßen und ihren mitgebrachten Afsenpinscher über die Stühle springen oder vom Steg aus appor- tiren ließen. Das Alles, wenn dieser leere Wagen nicht schon einen vollbesetzten Vorläufer gehabt hatte, war für heute nicht zu befürchten.

Gegen halb acht war er draußen, und einen halbwachsenen Jungen mit nur einem Arm und dem entsprechenden losen Aermel (den er beständig in der Lust schwenkte) heranwinkend, stieg er jetzt ab und sagte, während er dem Ein­armigen die Zügel gab:Führ es unter die Linde, Fritz. Die Morgensonne sticht hier so." Der Junge that auch, wie ihm geheißen, und Leopold seinerseits ging nun an einem von Liguster überwachsenen Staketenzaun auf den Eingang des Treptower Etablissements zu. Gott sei Dank, hier war Alles wie gewünscht, sämmtliche Tische leer, die Stühle umgekippt und auch von Kellnern Niemand da, als sein Freund Mützell, ein aus sich haltender Mann von Mitte der Vier­zig, der schon in den Vormittagsstunden einen beinahe fleckenlosen Frack trug und die Trinkgeldersrage mit einer erstaunlichen, übrigens von Leopold (der immer sehr splendid war) nie herausgeforderten Gentilezza behandelte.Sehen