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Deutsche Rundschau.
Sie, Herr Treibel," so waren, als das Gespräch einmal in dieser Richtung lief, seine Worte gewesen, „die Meisten wollen nicht recht und streiten einem auch noch 'was ab, besonders die Damens, aber viele sind auch wieder gut und manche sogar sehr gut und wissen, daß man von einer Cigarre nicht leben kann und die Frau zu Hause mit ihren drei Kindern erst recht nicht. Und sehen Sie, Herr Treibel, die geben und besonders die kleinen Leute. Da war erst gestern wieder einer hier, der schob mir aus Versehen ein Fünszig-Pfennigstück zu, weil er's für einen Zehner hielt, und als ich's ihm sagte, nahm er's nicht wieder und sagte bloß: „Das hat so sein sollen, Freund und Kupferstecher; mitunter fällt Ostern und Pfingsten aus einen Dag."
Das war vor Wochen gewesen, daß Mützell so zu Leopold Treibel gesprochen hatte. Beide standen überhaupt auf einem Plauderfuß, was aber für Leopold noch angenehmer als diese Plauderei war, war, daß er über Dinge, die sich von selbst verstanden, gar nicht erst zu sprechen brauchte. Mützell, wenn er den jungen Treibel in das Lokal eintreten und über den frisch geharkten Kies hin aus seinen Platz in unmittelbarer Nähe des Wassers zuschreiten sah, salutirte bloß von fern und zog sich dann ohne Weiteres in die Küche zurück, von der aus er nach drei Minuten mit einem Tablett, auf dem eine Tasse Kaffee mit ein paar englischen Biscuits und ein großes Glas Milch stand, wieder unter den Frontbäumen erschien. Das große Glas Milch war Hauptsache, denn Sanitätsrath Lohmeher hatte noch nach der letzten Auscultation zur Commerzienräthin gesagt: „Meine gnädigste Frau, noch hat es nichts zu bedeuten, aber man muß Vorbeugen, dazu sind wir da; im üebrigen ist unser Wissen Stückwerk. Also wenn ich bitten darf, so wenig Kaffee wie möglich und jeden Morgen ein Liter Milch."
Auch heute hatte bei Leopold's Erscheinen die sich täglich wiederholende Begegnungsscene gespielt: Mützell war auf die Küche zu verschwunden und tauchte jetzt in Front des Hauses wieder auf, das Tablett auf den fünf Fingerspitzen seiner linken Hand mit beinahe circushafter Virtuosität balancirend.
„Guten Morgen, Herr Treibel. Schöner Morgen heute Morgen."
„Ja, lieber Mützell. Sehr schön. Aber ein Bischen frisch. Besonders hier am Wasser. Mich schuddert ordentlich, und ich bin schon auf- und abgegangen. Lassen Sie sehen, Mützell, ob der Kaffee warm ist "
Und ehe der so freundlich Angesprochene das Tablett auf den Tisch setzen konnte, hatte Leopold die kleine Tasse schon herabgenommen und sie mit einem Zuge geleert.
„Ah, brillant. Das thut einem alten Menschen Wohl. Und nun will ich die Milch trinken, Mützell; aber mit Andacht. Und wenn ich damit fertig bin, — die Milch ist immer ein Bischen labbrig, was aber kein Tadel sein soll, gute Milch muß eigentlich immer ein bischen labbrig sein — wenn ich damit fertig bin, bitt' ich noch um eine .
„Kaffee?"
„Freilich, Mützell."
„Ja, Herr Treibel . ."