Heft 
(1892) 70
Seite
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Der Universitätsunterricht und die Astronomie.

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Neben diesem spemlativen Zweige der harmonistisch-mathematischen Welt­anschauung hatte sich aber der andere strengere Zweig, welcher die Himmels­erscheinungen, im Anschluß an ihre systematische Verfolgung durch Zählung und Messung, als einen strengen Aufbau aus sphärischen Gestaltungen mit gleich­förmigen Drehungen und Kreisbewegungen nachzubilden bemüht war, immer höher entwickelt und insbesondere nach den Mahnungen des Aristoteles, sowie auf Grund des Erwerbes der babylonischen Beobachtungsschätze einen hohen Aufschwung genommen.

Seit dieser Zeit begann sich nun immer reicher und stetiger die herrliche Wechselwirkung zwischen astronomischer Messung und Berechnung einerseits und mathematischer Gedankenentwicklung andererseits zu entfalten.

Immer deutlicher stellte sich zwar heraus, daß die Vorgänge in der Himmels­welt sich nicht durch so einfache mathematische Elemente und Mechanismen nach­bilden und vorausbestimmen ließen, wie die griechischen Weltweisen und Mathe­matiker gemeint hatten. Es kam sogar im Beginn der Renaissance ein Zeit­punkt, in welchem man überhaupt an der mathematischen Darstellbarkeit der Himmelserscheinungen irre wurde.

Aber gerade die Harmoniker unter den griechischen Philosophen, welche in diesem Zeitpunkt in der mittelalterlichen Geisteswelt voller bekannt wurden, halfen über diesen Moment des Zweifels hinweg, indem sie die Blicke von Neuem aus die Möglichkeit des von der Auffassung der rein mathematischen Astronomie völlig verschiedenen spemlativen Bildes der Himmelswelt richteten, wie es aus der pythagoraeisch-platonischen Harmonistik hervorgegangen und in dem Geiste des Aristarch von Samos sogar zu einer Art von naturwissenschaftlicher Durch­bildung gelangt war.

Als dann Copernicus und Keppler die Verständigung der rein mathematischen Astronomie mit jener harmonistischen Intuition der Griechenzeit vollzogen, waren es aber wieder gerade die tieferen Schöpfungen der griechischen Mathe­matiker, welche die Entwicklung der Copernicanischen Astronomie und ihre schnelle Durchbildung zur Newtonischen Lehre von der allgemeinen Anziehung mächtig förderten. Anknüpfend an das von der Astronomie gestellte Problem, auch die complicirtesten Bewegungen am Himmel durch Zusammensetzungen von gleich­förmigen Kreisbewegungen darzustellen, hatten die griechischen Mathematiker auch schon den Aufbau beliebiger krummliniger Bahnen aus den einfachsten Elementen im Geiste zu vollziehen begonnen. Und als die Astronomie nach anderthalb­tausendjähriger Arbeit, gemäß Appollonius Vorschriften über die Zusammensetzung der Kreisbewegungen, endlich zu dem klärenden und entscheidenden Ergebnisse von der Jnsufficienz dieses elementaren Verfahrens gelangt war und nun zu dem Verlangen nach höheren Darstellungsformen gedrängt wurde, fand sie die Lehre von der Ellipse, Parabel und Hyperbel als das Ergebniß schöpferischer mathe­matischer Vorausgestaltung fast völlig gereift zur praktischen Verwendung vor.

Alle die ergreifenden Erfolge, in denen die Himmelswelt nunmehr hielt, was das mathematische Denken versprach, trugen aufs Neue dazu bei, demjenigen Gebiete der großen umgebenden Natur, welchem die astronomische Forschung zu­gewandt ist, eine Ausnahmestellung innerhalb der Naturforschung zu erhalten.

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