Heft 
(1892) 70
Seite
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Deutsche Rundschau.

Das Alterthum und sein geistiger Inhalt ist auch in diesem Sinne ewig jung und der Jugend gemäß. Nichts erscheint mehr geeignet, in unsern höheren Schulen die Theilnahme an der Mathematik zu Wecken und zu nähren, den Eindruck der Willkür, der zwecklosen Quälerei, welchen erfahrungsmäßig die Anfänge mathematischen Lernens in den jungen Gemüthern Hervorrufen, in freudiges Interesse zu verwandeln, als wenn man schon in sehr frühen Stadien dieses Unterrichts, mit bedeutender Einschränkung des Breittretens der Ansangs­gründe, arithmetische oder geometrische Beispiele aus den Erscheinungen der Himmelswelt heranzieht und alsdann viel schneller als jetzt, immer an der Hand von einfachen Aufgaben aus der astronomischen Praxis und Forschung, zu solchen Zweigen der Mathematik aufsteigt, welche schon eine befriedigende Bearbeitung gewisser elementarer, aber in Folge der Weite ihres Horizontes in Zeit und Raum höchst weihevoller astronomischer Aufgaben gestatten.

In dieser Hinsicht sind in dem mathematischen Unterricht der höheren Schulen keine Fortschritte, sondern sogar empfindliche Rückschritte gemacht worden.

Es mag belächelt werden, wenn der Astronom in solcher Weise seine Wissen­schaft als ein Mittel zur Schmackhaftmachung des mathematischen Unterrichts anpreist; aber ich bin gewiß, daß zahlreiche Urtheile und Erfahrungen von Lehrern und Schülern auf meiner Seite stehen werden. Und ich vermag auch aus der mehr als dreißig Jahre umfassenden Thätigkeit, die ich an der hiesigen Universität der Einführung in astronomisches Verftändniß und der Unterweisung in astronomischer Arbeit gewidmet habe, viele Eindrücke und Erfahrungen auf­zuweisen, welche mir die Gewißheit geben, daß meine Auffassung dieser Bedeutung der Astronomie im Jugendunterricht keine völlig subjective ist.

Die Stellung der Astronomie zu denjenigen Wissenschaften, welche man in besonderem Sinne die Geisteswissenschaften nennt, erhellt zum großen Theil schon aus dem Entwicklungsgänge, von welchem ich in den allgemeinsten Um­rissen vorhin ein Bild zu geben versucht habe. Das Werden der astronomischen Arbeit und Erkenntniß ist von Anbeginn der Culturentwicklung so innig mit allem tieferen Streben und Forschen der Menschen und mit allen Gestaltungen der Menschenseele verbunden gewesen, daß die Geschichte der Astronomie von der Geschichte der Philosophie und in gewissem Sinne auch von der Geschichte der Kunst eigentlich nicht getrennt werden kann. Ein gewisser Grad astronomischen Verständnisses ist somit für den Forscher und Lehrer fast aller Zweige der Culturgeschichte fast ebenso unerläßlich, wie für den Astronomen bei der Er­forschung und Darstellung der Geschichte seiner Wissenschaft die Mitwirkung des Philosophen, des Historikers, des Philologen und des Archäologen.

Hierzu kommt die Wichtigkeit, welche die astronomische Beherrschung der Bewegungen der Himmelslichter aus Jahrtausende hinaus für die Sicherung der Zeitfolge historischer Ereignisse, überhaupt als Leuchte aus dem ganzen chrono­logischen Gebiete hat, eine Leistung der Astronomie, für welche andrerseits die historische und archäologische Forschung als Gegengaben unschätzbare Beiträge zu den Bewegungstheorien der Himmelslichter durch die Nachweisung althistorischer Wahrnehmungen von Finsternissen, Kometen- und Sternschnuppenerscheinungen und dergl. bereits geboten hat und noch zu bieten verheißt; Beiträge, welche be-