Heft 
(1892) 70
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Ein Thronerbe als Diplomat.

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einige Reisen gemacht und war, kaum einundzwanzig Jahre alt, von seinem Vater nach St. Petersburg geschickt worden, um dort um die Hand der Groß­fürstin Helene Paulowna, Tochter Kaiser Paul's I. zu werben. Der Aufenthalt am Zarenhofe, der sich noch um acht Monate über die im October 1799 statt­findende Vermählung ausdehnte, war für den jungen Prinzen eine lehrreiche Schule. Aus den kleinen Verhältnissen des heimischen Hoslebens plötzlich auf eine der größten Weltbühnen des Jahrhunderts versetzt, gewann er Einblicke in das politische Getriebe und das diplomatische Ränkespiel, die für seine spätere Laufbahn nicht ohne Nutzen blieben. Unterstützt durch natürliche Anlagen, durch eine einnehmende Erscheinung und ein liebenswürdiges Wesen, lernte er bald sich mit Sicherheit auf dem glatten Parquet der großen Welt bewegen. Die Gabe scharfer Beobachtung, ein seltenes Sprachtalent und Gewandtheit im Ausdruck kamen ihm dabei zu Statten. Auch das Verhältniß zum Zaren, dessen un­berechenbare Stimmungen rasch wechselten, und die Beziehungen zu den einfluß­reichen, aber argwöhnischen Palastbeamten erforderten Takt und Vorsicht. Friedrich Ludwig machte hier eine Art Lehrzeit der Diplomatie durch. Im Frühjahr 1800 führte er seine bildschöne, kaum dem Kindesalter entwachsene Gemahlin aus dem geräuschvollen Treiben des Kaiserhofes nach dem stillen Ludwigslust. Es folgten drei glückliche Jahre. Dann raffte der Tod die junge Fürstin von der Seite des trostlosen Gatten, dem sie zwei Kinder, Paul und Marie, hinterließ. Der Erbprinz empfand diesen Schlag sehr schwer. Er war eine Weiche, empfindsame Natur, mit einem Hang zur Schwärmerei, ein echtes Kind seiner Zeit, rasch begeistert, aber auch leicht entmuthigt und seinem Vater sehr unähnlich. Er besaß zwar dessen klaren Verstand, auch seinen Sinn für Geschäfte, nicht aber dessen heitere Gemüthsart, Humor und nüchternes Urtheil. Nach dem Tode seiner Gemahlin suchte und fand er Trost in angestrengter Arbeit. Sein Vater übertrug ihm ein Ressort im Domänen-Departement, und er hielt sich deshalb häufig und lange in Schwerin auf. Die Regierung war eine collegia- lische unter dem Vorsitz des Ministers Grasen von Bassewitz. Als zweiter Minister und Vorstand der Lehns- und Domänenkammer fungirte der Freiherr von Brandenstein. Die dritte Stelle im Ministerium nahm der Geheimrath von Plessen ein. Derselbe hatte früher Mecklenburg am Regensburger Reichstage vertreten und war nach Auflösung dieser Körperschaft wieder in der Landesver­waltung beschäftigt worden. Unter den ersten Räthen des Herzogs stand er diesem Persönlich am nächsten-

Von den politischen Erschütterungen und Kriegsstürmen, welche die Wende des Jahrhunderts begleiteten, war Mecklenburg bis zum October des Jahres 1806 verschont geblieben. Zwar hatten in der letzten Zeit wiederholt Durchzüge russischer und schwedischer Truppen statt gefunden, aber diese Truppen hatten das Land als neutrales Gebiet behandelt, und was sie requirirten, war bezahlt worden. In den am 25. October bezw. 25. November 1805 mit Rußland und Schweden abgeschlossenen Conventionen waren die Beträge festgesetzt worden, welche für die Verpflegung der Mannschaften, für geleistete Fuhren und Handdienste entrichtet werden sollten. Mit Ausnahme der Einquartirungslasten und der mit dem Durchzug nicht völlig disciplinirter Truppen unvermeidlichen Reclamationen er-