Heft 
(1892) 70
Seite
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Deutsche Rundschau.

des Siegers, welche in Memel niedergeschrieben, höchst wahrscheinlich von dem Königspaar selbst herrühren, und die wir deshalb im Auszug hier folgen lassen H.

Kaiser Alexander wollte die von Napoleon vorgeschlagene Unterredung Anfangs nicht gewähren; er lehnte sie mehrmals entschieden ab. Napoleon hatte aber einen bestimmten Grund, daraus zu bestehen. Bei einer solchen Begegnung mußte ihm ein kaiserlicher Rang in den Formen der Etiquette zugestanden werden. Darin lag eine formelle Anerkennung seiner Stellung; das war es, was er erstrebte. Hätte man russischerseits dies als eine Concession geltend gemacht und verwerthet, so wären ohne Zweifel weit günstigere Bedingungen zu erlangen gewesen. Aber Großfürst Constantin, der sehr für den Frieden war, stellte seinem Bruder vor, daß er durch eine Entrevue Alles erlangen würde, was er wünsche. Der that- sächliche Verlauf hat das Gegentheil bewiesen. Der Fürst Labanoff Rostowsky, ein braver, alter Soldat, der aber niemals auf der politischen Bühne aufgetreten war, der sogar die letzten 14 Jahre in strengster Zurückgezogenheit verbracht hatte, ward nun ins französische Hauptquartier entsandt. Die Pourparlers begannen, und dieser Mann sollte den Vermittler zwischen den beiden Monarchen abgeben. Da er hierzu in keiner Weise genügte, so übernahm später in Tilsit Herr von Talleyrand das Protokoll.--

--Napoleon hat keine Gelegenheit versäumt, um

durch Aufmerksamkeiten das Wohlwollen des Kaisers zu gewinnen. Dennoch hat man einen Umstand bemerkt, welcher beweist, wie groß das Mißtrauen bei schlechten Menschen ist, die immer Andere nach sich selbst beurtheilen. Napoleon bat öfters den Kaiser, den Thee bei ihm nehmen zu dürfen; er that dies ge­wöhnlich laut vor anderen Personen. Wenn aber der Thee im Cabinett des Kaisers Alexander servirt wurde, fand er immer Vorwände, um nicht davon zu

nehmen, und in der That hat er dort niemals einen Tropfen getrunken.-

--Napoleon hat den König von Preußen Anfangs

durchaus nicht sehen wollen, und nur auf wiederholtes Bitten des Kaisers Alexander ist es geschehen. Die erste Begegnung fand auf dem Niemen statt; sie war sehr frostig. Der König kam in der Folge noch häufig nach Tilsit, über­nachtete aber niemals dort. Napoleon erwies ihm äußerlich scheinbar die Ehren, die einem gekrönten Haupt zukommen, behandelte ihn aber in den Konferenzen mit einer beleidigenden Ironie. Er nahm nicht die geringste Notiz von den Be­merkungen des Königs. Als dieser ihn fragte, ob er seinen Minister von der Goltz mit Herrn von Talleyrand in Unterhandlung treten lassen solle, antwortete Bonaparte:Wenn es Herrn von der Goltz Spaß macht (amuss) zu unter­handeln, ganz Wohl, dann mag er unterhandeln, und wenn es auch zwei Jahre dauert." Eines andern Tages sagte er, er habe gar nicht gewußt, daß Herr von der Goltz in Tilsit sei, woraus der König erwiderte, daß sei nicht seine Schuld, indem Goltz sich täglich zwei M,al bei Herrn von Talleyrand eingefunden habe, ohne jemals vorgelassen zu sein. Napoleon schwieg darauf.-

i) In deutscher Übersetzung. Das Manuscript ist französisch, oft schwer leserlich und augen­scheinlich ziemlich eilig niedergeschrieben.