Heft 
(1892) 70
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Ein Jahr bei den Ajaris.

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Kohlenbecken kauernd, das ihm die mitleidige Adalgisa hinausbrachte, weil er über Frost geklagt hatte. Heute ist er mitsammt dem Bockssell auf seinem Eselchen abgezogen in seine ferne Heimath, mit demselben mürrisch argwöhnischen Blick, mit dem er gekommen war.

XI.

13. Februar.

Der Winter ist eingekehrt. Bald einen Monat habe ich nicht geschrieben. Wir sind von Schnee und Sturm eingehüllt, unser Zimmer ist kalt, obgleich der Ofen heult, an Kochen in der Küche nicht zu denken. Eine Weiße Decke liegt auf Pfannen und Schüsseln unser arabischer Nachbar hat uns einen Kuskus ge­schickt, damit wir keinen Hunger litten. Der Knabe Abd-es-Selam brachte ihn in ein Tuch geknüpft durch den Schneestnrm her. Unter dem Zelt soll es be­haglich sein, meinte er, und lief, vergnügt über ein Silberstück, in seines Vaters Burnus und hohen Stiefeln, wieder in das tobende Wetter hinaus. Der Besuch des Kindes war ein Intermezzo in der Stille, die schon seit Tagen in unserer Hütte herrscht. Der Doctor sitzt und studirt an einem Schädel, der mir grauenhaft ist; denn er stammt von einem Weibe aus Macter, das bei einer Hungersnoth elend umgekommen. Schwere Tropfen fallen von der Zimmerdecke, und wir rücken mit Tisch und Lampe umher. Wir müssen Zeltleinen spannen oder unter Regenschirmen schlafen. Ich mache mich aus einen schleunigen Auszug gefaßt. Draußen tönt das Geschrei wilder Gänse, die über die Höhe ziehen.

14. Februar.

Ein trauriger Sonntag! Die Nacht unter den fallenden Tropfen war lang und kalt. Während wir heute früh beim Frühstück saßen und vergebens die Speisen vor dem eindringenden Regen zu schützen suchten, stürzte die Zimmer­decke Stück um Stück mit Getöse ein. Wir sind in die anstoßende Hütte ge­flohen, wo wir unter Sätteln und Zäumen frierend den Tag verbringen müssen, bis unsere Behausung wieder bewohnbar ist-

Ende Februar.

Wir leben noch im Exil, und doch steht schon die schönste Sonne am Himmel. Es ist heiß wie im Sommer, und in den Bergen prangt die Natur im Frühlings­glanz. Die Halden sind grün, die Wiesen ein Teppich von Blumen. Im Dorfe Elles blühen die Mandelbäume, ganze Regionen sind in Duft getaucht, als wäre das Land ein großer Strauß. Auf den Seen in der Ebene lagern lange Reihen von Flamingos wie Rosenstreisen aus dem matten Blau des Wasserspiegels. Die Lust ist klar, tausendfältig wacht das Leben auf nach den fruchtbaren Regen. Die Araber, die der Winter in den Süden vertrieben hatte, kommen mit Hab und Gut, Weibern, Kindern und Kameelen ins Gebirge zurück. Auch der Markt, der an manchem Schneetage ausfiel, ist belebt, und die bekannten Gäste klopfen wieder an unsere Thür. Tajeb bringt Sträuße von Narcissen und wilden Tulpen aus dem Thal. Wenn die Sonne sinkt, sitze ich manchen Tag aus der Stufe