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Deutsche Rundschau.
Vor der Küchenthür und sehe auf die Felswände, wo der Je-länger-je-lieber neu grünt. Adalgisa steht neben mir und erzählt von der Heimath, von Piemont und dem Vaterhaus, wo sie als vierzehntes Kind bei Polenta groß wurde, von den Wundern des Doms von Vercelli, von ihren Reisen und Abenteuern in der Wüste. Drüben, jenseits der Schlucht, ziehen die Herden nach den Hürden, und Abd-es-Selam bläst die Schalmei in mannigfaltigen Modulationen. Die Nachbarn Beduinen kauern an der Felswand und sehen ins Weite, wo die Venus hinter den Bergen aufgeht. Und den gelben Hofhund streichelnd, schließt Adalgisa ihre Ausführungen mit den Worten: „6 pure ml karn penn cU xnrtU'6 cki Mi."
XII.
10. März.
Wie ich heute früh aus der Thür trete, um einen Blick ins Freie zu thun, sehe ich einen Reiter zu Esel herankommen, der seinen Burnus sorgsam, in ein Bündel gefaltet, in der Hand trägt. Er steigt vor dem Hause ab und weist mir in seinem Mantel mit gleichmütigem Gesicht ein Häufchen Knochen und einen menschlichen Schädel, in denen er, wie er meint, die Reste seines Bruders erkennt. Auf meine erstaunten Fragen höre ich folgende Geschichte, die grausig klingt und ein wahres Drama enthält:
Vor zwei Monaten verschwand sein junger neunzehnjähriger Bruder auf unerklärliche Weise. Er war zum Markt nach Macter gegangen, wie er es jeden Sonnabend zu thun pflegte, und seitdem nicht wiedergesehen worden. Die Seinigen suchten vergeblich nach ihm und trösteten sich endlich, er sei Wohl nach dem Süden gezogen, nach Kairuan oder Gafsa, und würde mit der Zeit zurückkehren. Doch es vergingen Tage und Wochen ohne Nachricht von dem Verlorenen, — da entdeckten arbeitende Frauen an einer einsamen Stelle an den Seen ein menschliches Gerippe — an dem blutgetränkten Burnus glaubte die Familie ihren Sohn zu erkennen. — Der Volksmund wußte auch die Namen der Thäter zu nennen. Unter den Feigenbäumen von Macter wohnte eine schöne Frau, die, obgleich von dem alten einäugigen Gatten eifersüchtig bewacht, mit dem jungen Mann ein Liebesverhältniß unterhielt. An dem Markttag, von dem er nicht zurückkam, wollte man im Schatten der Ruinen ein altes Weib im Gespräch mit ihm gesehen haben. Ein Stelldichein, von dem Gatten als Falle benutzt, sollte ihm das Leben kosten. Wie er zum Zelt der Geliebten schlich, überfielen ihn die Brüder der Frau und ermordeten ihn. Nachts trugen sie den Leichnam ins freie Feld, wo ein dichter Schnee alle Spuren der That zudeckte, bis Sonnenschein und Thau sie ans Licht brachten.
XIII.
Tunis, Ende April.
Ihr werdet fragen, wie es kommt, daß ich nach längerem Schweigen plötzlich einen Brief aus Tunis datire, und glaubt gewiß schon, daß ich am Ende meiner Erlebnisse bin und den Bergen und Thälern der Hamada für immer den Rücken gekehrt habe. — Nein, nur für wenige Tage bin ich hier, strömende Regen, die seit einer Woche unaufhaltsam vom Himmel stürzen, halten mich noch zurück.