Heft 
(1892) 70
Seite
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Ein Jahr bei den Ajari!

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Den ersten schönen Tag jedoch werde ich von hier ausbrechen und in unsere Wildniß zurückkehren, von der ich erst jetzt suhle, wie lieb sie mir geworden ist.

Ende März war es kalt und stürmisch auf der Höhe gewesen; wir wurden ein zweites Mal durch die einstürzende Decke aus unserer Wohnung vertrieben und verbrachten Tag um Tag in einem winzigen Raum an einem Holzfeuer unter tausend Unbequemlichkeiten und Entbehrungen. Manchen Abend hatte uns der Sturm die Speisen von den Schüsseln gefegt, ehe sie zu uns gelangten, und es hieß mit hungrigem Magen zu Bette gehen. Alle Verkehrswege waren zeitweilig abgebrochen; für keine Summe wollte der tunesische Kärrner den Weg hinauf wagen und auch die reitende Post blieb oftmals aus. Seitdem stand mein Sinn aus eine Reife nach Tunis. Mich gelüstete es, einige Tage in der Cultur- welt zu verbringen, und jeden Morgen, wenn ich mein Fenster öffnete, war mein erster Blick nach dem Himmel und meine erste Frage an die vor der Thür kauernden Beduinen:Wie sind die Wege?" Endlich, gegen Ende des Monats, gab es schöne sonnige Augenblicke. An einem strahlenden Morgen lockte uns eine arabische Musik früh heraus. Es war die Jugend von Suaker, die mit Sang und Klang nach Macter zurFantasia" zog und sich unter den Oliven versammelt hatte. Voran auf einem Schimmel mit purpurner goldgestickter Schabracke, die fast bis zur Erde hing, der Sohn des alten Kaids in prachtvoller Kleidung. Hinter ihm eine Menge berittenen und unberittenen Volks, darunter manches bekannte Gesicht, im Ganzen an die hundert Mann, alle den Klängen barfüßiger Pfeifer und Trommler folgend. Auch wir stiegen rasch zu Pferde und schlossen uns dem Zuge an. Es ging den Bergabhang hinab, die betäubende Musik voran. Die Pferde stampften und wieherten und bäumten sich unter dem Zügel. Der Bach im Thalgrund wurde im Galopp genommen, so daß das Wasser hochaufspritzte, und im Galopp stürmte unser Zug unter den Oliven von Macter durch, bis aus den bereiteten Schauplatz. Dort empfing der Stamm der östlichen Ajaris uns Ankömmlinge. Aus dem Trümmerfeld am Triumphbogen bildete die Menge einen Kreis, und das Spiel sing an. Der achtjährige Sohn des Kaids der Kesra führte sein winziges Pferdchen imspanischen Tritt" vor. Ein halb verschleierter Araber, den Weißen Haik ums Gesicht geschlungen, so daß er wie ein Visir nur die Augen frei ließ, silberne Pistolen im Gürtel, schlang mit seinem Rappen künstliche Achten im engsten Kreise. Im rasenden Tempo vorbeijagende Reiter, mit blauen Mänteln aus rothen Sätteln, feuerten jauchzend ihre Flinten in die Lust, mit ihren handlangen Sporen tiefe Wunden in die Weichen der Pferde reißend. Es wurde manches Kunststück vollsührt, das einen

Kenner entzückt hätte. Ich hatte nur Augen für das malerische Bild in seinem

Wechselstreit der leuchtendsten Farben, von dem Rahmen der Berge umschlossen.

In den Pausen machte ein affenartiger Negerknabe den Narren, und die Menge lachte und vergnügte sich, ohne daß ein Mißton die Freude gestört hätte. Den ganzen Nachmittag dauerte das Fest. Erst mit sinkender Sonne machte

man sich aus den Heimweg und ritt ohne Sang und Klang in dem röthlichen

Dämmerlichte den Bergen zu. Für manchen der Betheiligten hatte es weder Essen noch Trinken gegeben, und doch war die allgemeine Befriedigung groß. Der Schimmel mit der rothseidenen Decke zog vor uns her, bis er sich mit seinem Gefolge in dem Seitenthal verlor.