Heft 
(1892) 70
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Ein Jahr bei den Ajaris.

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höhlenartig, mit einer rothen Gardine vor der Lagernische als einzigem Zierrath. Drinnen stand in dem einfachen blauen Beduinenkleid, ohne Schmuck, barfuß, eine herrliche Frauengestalt mit classisch regelmäßigen Zügen und der Würde eines seiner strahlenden Schönheit bewußten Menschen. Der alternde Scheck hat seine Frau für einen hohen Preis .von ihrem Vater erstanden, sie stammt aus einem Nachbardors und ist wegen ihrer Schönheit berühmt. Ich sah sie mit Staunen an. Ihr Gesicht hatte einen Ausdruck von lächelndem Liebreiz, ihre Gestalt erschien tadellos an Größe und stolzer Haltung» Die andern sie um­ringenden Frauen waren hoch geschmückt, sie selbst mochte gewußt haben, daß weder Seide noch Gold ihre Reize mehr heben konnten, als das faltige dunkle Gewand, denn sie hatte mir zu Ehren keine andern Kleider anlegen wollen. Ich mußte mit den Worten des Hohenliedes sagen:Du bist allerdings schön, meine Freundin, und ist kein Flecken an Dir."

Auf dem Lager mit dem rothen Vorhang schliefen ein paar Kinder friedlich bei all' der schwatzenden Gesellschaft. Jede der sieben Schwägerinnen wollte mir zuerst ihr Zimmer zeigen, dasselbe schmale^Gemach mit der Nische im Grunde, aber ohne die Gardine der Scheikssrau.

Unterdessen >,war unsere Lagerstätte mit Decken und ein paar Kissen belegt worden. Das Oellicht wurde ausgelöscht und unsere Wirthe schlossen die Außen­thür ab. Drinnen in unserer Höhle war es feucht und kalt und der Schlaf aus dem steinernen Bett nicht leicht zu finden. Es mußten sich auch noch ein paar Kälber mit lautem Gebrüll aus dem Jnnenhof zu uns verirren, und wir, in der Dunkelheit nach Licht tappend, die Thür suchen, um sie hinauszulassen. Als uns am andern Morgen um vier Uhr unser Wirth 'durch Klopfen weckte, fühlten wir unsere Glieder steifer als Abends vorher.

Der Himmel war grau und trübe, die drohenden Wolken standen noch im Norden. Aus der Torsstraße am Brunnen hielt der geschlossene Reisewagen, mit dem die Frauen eines reichen tunesischen Oelbauers nach Elles gebracht worden waren und der jetzt naU Tunis zurückkehrte. Der Kutscher, ein ge­drungener Araber mit rothem Gesichte, wetterte beim Anspannen der Pferde gegen den geizigen Scheck, der ihn nicht zum Nachtessen gebeten habe. Während wir uns in dem Landauer zurechtsetzten, bestieg Tajeb ein Maulthier, das den Doctor vom halben Wege wieder in die Berge zurückbringen sollte, indeß ich mit dem jungen Begleiter die Reise allein beenden würde. Tajeb strahlte: vierzehn Tage in Tunis, fünfzehn Franken in der Tasche (gerade genug für zwei Tage, doch der Muselmann tröstet sich in der Hoffnung auf Allah's Hülse), welche verlockende Aussicht! Es schien ihn nicht anzufechten, daß seine kleine vierzehnjährige, schwarzäugige Frau in dem dunklen Bau zurückblieb.

Auf der langen Fahrt durch die Ebene von Sers hatten wir Zeit, mit unserem Kutscher Freundschaft zu schließen. Er nannte sich Sij- Hamda, fuhr seit achtzehn Jahren durch Tunesien und schien ein wilder?, jedoch gerechter Charakter, nach der Unparteilichkeit zu schließen, mit der er seine drei Pferde abwechselnd mit der Peitsche tractirte und durch Lobsprüche ermuthigte.

Der Himmel wollte sich nicht aufhellen. Als wir gegen Mittag am Flüßchen TessLa Halt machten, kam die Sonne zwar auf wenige Augenblicke

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