Heft 
(1892) 70
Seite
252
Einzelbild herunterladen

252

Deutsche Rundschau.

Verlegen hätten solche Begegnungen sie nicht gemacht. Sie war daran gewöhnt, von Königen und Königinnen Freundliches zu erfahren. Als Kind war sie mit nach Königsberg genommen worden, als die Königin Luise nach der Schlacht von Jena dahin flüchtete. In ihren Gedanken war der rothe Schein der ungeheuren Feuersbrunst des Krieges, in dem Preußen damals in Asche sank, flehen geblieben als das Ereigniß, mit dem ihr Leben begann. Ihre erste Jugend war in die Zeiten gefallen, wo das scheinbar völlig vernichtete Volk aus seiner geistigen Kraft allein die Macht zog, mit der es den Feind abwarf und sich zu ungeahnter Höhe emporbrachte. Dieser Glaube an das Reingeistige war die Mitte ihrer Weltanschauung. Das Programm Wilhelm von Humboldt's war in ihr ganzes Wesen eingedrungen. Der Glaube an die geistige Macht des Deutschen Volkes. Sie hätte Niemand begriffen, der anders dächte. Sie war in tiefster Seele sicher, daß in diesen Ueberzeugungen das eigentlich conservative Element liege. So beurtheilte sie alles Politische. Sie war königlich gesinnt, nicht im Sinne der Partei, sondern als gehorche sie damit einer natürlichen Forderung. Immer aber doch nur im Sinne von 1813.

Ihre persönlichen Erinnerungen hegte Frau von Olfers mit Liebe, aber sie hatte keine Vorliebe für das, was Memoiren ansüllt, sondern die Ereignisse rundeten sich ab in ihr und nahmen allgemeine Gestalt an. Ihre Vergangenheit Wurde immer Heller vor ihren Augen. Ihr letztes sinkendes Augenlicht, dessen völligen Verlust das Schicksal ihr ersparte, wandte sie an, um Verse niederzu­schreiben, in denen sie die frühsten Eindrücke ihrer Kindheit der Gegenwart ver­traute. Dies Umgestalten der Erlebnisse zu freundlichen Ruhepunkten für die Ge­danken schien das eigentliche Amt, für das der Himmel sie bestimmt hatte. Ihre frühesten Verse gleichen darin den letzten. Sie hat, könnte man sagen, nie ausgehört ein junges Mädchen zu sein, das eben seine ersten Erfahrungen macht und, begierig auf Neues, immer wieder überrascht ist von der sich umgestaltenden Welt, in die es sich versetzt sieht. Ihr Dasein war ein stets sich wiederholendes Erstaunen. Sie sprach vom letzten Herbste ihres Lebens, als sie gebückt unter den Bäumen des Thiergartens ging, mit Bewunderung, als habe sie bis dahin unter anderen Climaten gelebt und sehe die Pracht der fallenden Blätter als etwas Neues. Diese Leidenschaft zur gleichbleibenden milden Güte der Natur ist eines der schönsten Gefühle hohen Alters. Alles fällt ab vom Menschen, Alles verblaßt, Alles scheint andere Gestalt anzunehmen. Die Gedanken und die Sprache selbst der Menschen ändern sich: die beharrende sanfte Schönheit der Natur aber bleibt dieselbe, ihre Kraft zu blühen fließt unvermindert immer neu in ihre Kinder ein, sie redet immer dieselbe Sprache und die aufbrechende Rose vertraut uns in jedem neuen Frühling in alter Kraft neu ihre ewigen Geheimnisse. Die Menschen pflanzen Blumen auf ein Grab, in Gedanken an einen stillen Verkehr der Todten mit ihnen.

Herrn an Grimm.