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Deutsche Rundschau.
geistiger Kämpfe; einer Epoche, die das eigentliche Wunder der Weltgeschichte darstellt, insofern sich in ihr, vornehmlich zwischen 150 und 312, die Transformation der heidnischen Gesellschaft in eine christliche vollzogen hat. Was ist damals im Herzen der Menschheit vorgegangen? Bilder und Inschriften verrathen durch die Unmittelbarkeit ihrer Sprache so Manches, was kein literarisches Zeug- niß ausspricht; sie verhelfen zu einem Gesammteindruck, den man ohne Zuhülfe- nahme der monumentalen Bezeugung nie gewonnen hätte. Die Gemälde und Sculpturen jener Zeit sind aber zugleich die Ausgangspunkte der gesammten christlichen Kunst. Will man den Weg erkennen, den die europäische Menschheit zurücklegte, bis sie zu Raffael's Sistina oder zu Michelangelos jüngstem Gericht vordrang, so hat man die Wiege dieser Kunst in den Katakomben zu studiren. Ihre Denkmäler beanspruchen ein ähnliches Interesse, wie es die frühesten Anfänge der Organismen in der heutigen Naturwissenschaft bei allen biologischen Untersuchungen genießen.
So war nothwendigerweise auch für de Rossi die Gräberwelt der Ausgangs- und Mittelpunkt seiner Forschung. Was die Aufdeckung der durch die Eruption des Vesuvs verschütteten Städte Campaniens für die classische Archäologie, das — nur noch viel mehr — stellt Roms unterirdische Nekropole, stellen die Katakomben für die christlichen Alterthümer dar.
Aber freilich, das Reich, welches de Rossi zu gründen unternahm, konnte sich nicht aus der Betrachtung der Katakomben erheben, so wie sie bisher geübt war. Es mußte mit tausend Vorurtheilen gebrochen, es mußte der Dilettantismus ausgetrieben werden, der sich dieses Gegenstandes bemächtigt hatte. Es galt, die Principien der modernen philologischen und archäologischen Kritik auf das Studium der Katakomben anzuwenden. Ein systematischer Betrieb der Ausgrabungen war das Erste, was zu erstreben war. Schon in den vierziger Jahren hatte der Padre Marchi den Anstoß zu solchen gegeben. Aber er fand seine Schultern selbst zu schwach, um das Begonnene fortzusetzen; er überließ die Last der srischern Kraft des jungen Nobile, den er in eigener Person in die Kenntniß dieser unterirdischen Welt eingesührt hatte. Für dieses Unternehmen war de Rossi so glücklich, einen Protector zu finden, dessen Theilnahme für die Katakombensorschung und dessen gnädige Gesinnung für ihren Hauptvertreter sich niemals verleugnet hat. Pius IX. war kein Gelehrter, aber er besaß die den Italienern so oft wie angeborne instinctmäßige Empfindung von der Bedeutung der monumentalen Studien; er liebte de Rossi, und er hat durch Förderung seiner Arbeiten sich ein Verdienst erworben, das ich nicht anstehe, als die unbestrittenste Leistung seiner langen Regierung zu erklären.
Der größte Feldherr bedarf des Glückes, aber das Glück läßt sich gerne an den Siegeswagen des Genies fesseln. Napoleon und Moltke wußten, was sie Fortuna dankten; auch de Rossi ist ihr verpflichtet. Ich könnte von einigen Fällen berichten — de Rossi erzählte sie gerne selbst — wo der Zufall ihm mit köstlicher Grazie schöne Entdeckungen in die Hand gespielt hat. Aber seine großen Erfolge, namentlich bei den Ausgrabungen an der Via Appia, verdankt er keineswegs diesem launigen Gott, sondern vielmehr jener überaus seltenen Vereinigung von Scharfsinn, glücklichster Combinationsgabe, reifer Erfahrung und geduldiger