Utopien.
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Fruchtbarkeit auf, bewohnt von einem glücklichen, frommen Menfchengeschlechte, das in drei Kasten sich gliedert und die reichen Gaben, welche die Natur ihnen spendet, als Allen gemeinsam ansieht und unter Alle in gleicher Weise gerecht vertheilt.
Keines dieser Bücher ist uns erhalten. Allein soweit wir aus den indirecten Berichten über sie schließen dürfen*), haben Diejenigen Wohl nicht Recht, welche auch in ihnen Vorbilder der Utopie des Morus zu sehen vermeinen. Das, was jene brachten, waren vielmehr nur sagenhafte Reiseabenteuer, unterhaltsame, ergötzende Märchen, poesievolle Ergüsse starker Phantasie, wie sie seit Sindbads, des Seefahrers, Zeiten in allen Perioden der Literaturgeschichte immer wieder aufgetaucht sind; wer gedächte hier nicht, um nur ein Allbekanntes zu erwähnen, der Darstellung, welche Jonathan Swift von „Gullivers Reifen" und dessen Erlebnissen und Abenteuern im Lande der Liliputaner und bei dem Riesenvolke gegeben hat. Aber wenn bei diesen Schilderungen der dichtende Erzähler von den fremden und fremdartigen Menschen sehr natürlich auch aus deren angebliche Familie, ihre Gesellschaft und das dortige Staatswesen zu sprechen kommt, so geschieht dies nicht in ernster und staatsphilosophischer Erwägung. Sondern es ist entweder die ledigliche Freude an dem poetischen Walten schöpferischer Einbildungskraft, die hier die Feder geführt, oder wir haben es — wo restectirende Tendenz zu bemerken ist — mit der „sentimentalen Idylle" (nach Schiller's Ausdruck) zu thun und mit jener ungesunden Auffassung, als ob gesteigerte und verfeinerte Cultur dem Menschen nothgedrungen zum Verderben gereiche und nur im Zurückgehen auf die primitiven Verhältnisse unentwickelter Naturvölker, die man dann in phantastischem Romane sich vorzaubert, Heil der Menschheit erwartet werden dürfe. — So haben wir alle derartigen Dichtungen alter und neuer Zeiten aus dem Kreise unserer Betrachtungen zu streichen: die in ernster Absicht frei ersonnene Darstellung eines vernunftgemäß eingerichteten Gemeinwesens, das ist in voller Durchführung zuerst die That des Thomas Morus gewesen.
Und ein glücklicher Griff war es, den der berühmte Staatsmann schrist- stellernd hier gethan. Dies zeigen namentlich auch die zahlreichen Nachahmungen, Welche er gefunden hat. Nach dem calabresischen Dominicanermönch Campa- nella, welcher in seinem „Sonnenstaate" ein auf Güter- und Weibergemeinschaft basirendes ideales Staatswesen beschrieb ^), legte der Engländer Harring- ton den genauen Plan einer Staatsverfassung der von ihm erfundenen Insel „Oceana" dar^), machte der Franzose Vairasse mit den fabulirten Einrichtungen des Volkes der „Sevaramben" bekannt^), und folgte in weiterer ununterbrochener Reihe eine Fülle von Jdealstaaten — manche freilich nur in slavischer Copirung des Morus — bis zu der sehr bekannt gewordenen „manschen Reise"
U Vergl. Erwin Rohde, Der griechische Roman und seine Vorläufer, S. 194—241.
2) 6 ivÜÄ 8 80 Ü 8 vsl äs rsixublieas iäsa äialoZus postieus. Intsr1oentor68: 1io8pitalLriu8 MLMN8 st nautorum Mdsrnator 6emi6ii8!8 liOZpss, 1620. (In den gesammelten Werken des Campanella von 1623 als Anhang der „politioa" abgedruckt.)
3) OeennÄ, 1656.
I1i8toirs äs8 LsvaranidsZ, 1677.
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