Heft 
(1892) 70
Seite
297
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Die Handelsverträge.

Mitte Januar.

Fragen der Handelspolitik haben im Allgemeinen nicht das Glück, weitere Kreise des gebildeten Publicums zu interessiren. Selbst die diplomatische Welt steht ihnen für gewöhnlich ziemlich theilnahmslos gegenüber. Es ist das Verdienst oder die Schuld der Amerikaner, auch aus diesem Gebiete einen vollständigen Umschwung bewirkt zu haben. Seit die berüchtigte Mac Kinley-Bill die Vereinigten Staaten mit einer säst unüb erst ei glichen Zollmauer umwallt und sämmtliche Exportindustrien Europas auss Schwerste geschädigt, und zugleich Frankreich Kündigung aller seiner Verträge beschlossen hat, ist alle Welt daraus aus, Abhülse zu ersinnen. Um die Wette haben sich Regierungen, Presse und Publicum bemüht, Ersatz sür den verlorenen Markt zu suchen. In ganz Europa ist, seitdem die Gesahr, die Millionen der Arbeiterbevölkerung plötzlich ihr Brot verlieren zu sehen, in bedenkliche Nähe gerückt, sür handelspolitische Dinge eine srüher ungeahnte Antheilnahme aller Bevölkerungsschichten erwacht. Kein Land wird von den Vorgängen in Amerika so nahe berührt wie Deutschland. Trotz un­günstiger geographischer Lage und trotz der Abschließungspolitik aller wichtigsten Nach­barn ist in unserem Vaterlande, Dank dem Unternehmungsgeiste des Volkes und der sördernden Thätigkeit der Regierung, eine Großindustrie entstanden, welche nur hinter derjenigen Englands noch zurückbleibt, und für deren Erzeugnisse der einheimische Markt längst nicht mehr zureicht. Die natürlichen Absatzgebiete nach dem Osten und Süden Europas sind ihr seit Langem versperrt. Frankreich hat ihr nie seine Grenzen geöffnet. England und seine überseeischen Besitzungen, sodann Amerika haben sich zu ihren besten Abnehmern herausgebildet. Selbst der vor der Hand nur theilweise Verlust des Marktes der Vereinigten Staaten muß also aus Deutschland eine sehr bedenkliche Wirkung üben. Was soll erst werden, wenn eines Tages die nordamerikanische Industrie den gesammten heimischen Bedars versorgt und auch noch den Absatz nach den übrigen Staaten Amerikas monopolisirt, wie es das Ziel der Staatsmänner vom Schlage Blaine's ist! Nur ein Ausweg besteht zur Zeit aus dieser, unsere gesammte Existenz in Frage stellenden Schwierigkeit. Es ist der Ausweg, den verschiedene Volkswirthe längst empfohlen hatten, welchen auch Fürst Bismarck seiner Zeit bereits ins Auge gefaßt hat: enger Anschluß Deutschlands an das noch dünn bevölkerte, vorwiegend Landwirthschast treibende Oesterreich-Ungarn und seine Hinterländer.

Als Mitte der siebziger Jahre Rußland seine ohnehin schon übermäßigen Zölle immer weiter erhöhte, als Frankreich vom Schutzzoll zu einem, dem Einfuhrverbote schon recht nahe kommenden Tarif überging und auch die Vereinigten Staaten die Einfuhr zu erschweren begannen, hatte Fürst Bismarck zum ersten Male eine engere Verbindung mit Oesterreich ins Auge gefaßt. Aber seine Absicht scheiterte an den unbescheidenen Forderungen der böhmischen Industriellen und dem Mangel an Compen- sationsobjecten im deutschen Tarife. Wohl drohte man damals mit Einführung von Getreidezöllen, aber die österreichischen Unterhändler glaubten nicht daran, daß es mit der Drohung Ernst sei und daß der Reichstag eine solche Maßregel genehmigen werde. Die Thatsache, daß kurz daraus die angekündigten Zölle in Deutschland zur Wirklich­keit und in kurzen Zeiträumen erheblich gesteigert wurden, zusammen mit der schwierigen allgemeinen Weltlage, haben aber auch die Oesterreicher einer Verständigung mit dem