Politische Rundschau.
Berlin, Mitte Januar.
Der preußische Landtag ist am 14. Januar mit einer Thronrede eröffnet worden, in der die Ankündigung des Entwurfes eines Volksschulgesetzes besonderes Interesse erregen mußte. Daran anknüpsend, daß die gesetzliche Ordnung des Volksschulwesens bereits im Vorjahre versucht wurde, betonte die Thronrede, daß der neue Entwurf bezwecke, die in Betracht kommenden Vorschriften der Versassungsurkunde zur Ausführung zu bringen. Der neue Entwurf ist inzwischen dem Abgeordnetenhause zugegangen und rechtfertigt die Besorgnisse, die insbesondere von liberaler und gemäßigt conservativer Seite in Hinsicht aus das Preisgeben wichtiger Rechte der Staatsgewalt an die Geistlichkeit gehegt wurden. Mit Fug wird unter Anderem bemängelt, daß den kirchlichen Oberen ein Veto gegen die Anstellung des Candidaten an allen Schulen mit nur einem Lehrer, ja in der großen Mehrzahl aller Schulstellen gewährt werden soll. In dem Entwürfe finden sich vielfache Anklänge an Cavour^s, in Italien selbst längst verworfenen Ausspruch: „libsra (Rissa iu libero 8tato" — „Freie Kirche im freien Staate". Nur aus Opportunitätsrücksichten, um die politische Einheit seines Vaterlandes zu verwirklichen, hatte der große italienische Staatsmann das Schlagwort gebraucht. Jenseits der Alpen zweifelt kein Freund des geeinten Italiens auch nur im Geringsten daran, daß der Ultramontanismus die Freiheit lediglich benutzen würde, um Uebergriffe aus das Gebiet der Staatsgewalt zu versuchen. Wie sehr die „freien" Schulen in Belgien den clericalen Interessen dienen, ist eine unanfechtbare Thatsache. So darf der preußische Volksschulgesetzentwurs keineswegs mit Genugthuung begrüßt werden; vielmehr fordert er berechtigten Widerspruch heraus.
Erfreulicher waren die Ansprachen, die bei Gelegenheit des Neujahrsempfanges in den verschiedenen Hauptstädten gehalten wurden; spiegelten sie doch in charakteristischer Weise die allgemein herrschende friedliche Auffassung der Weltlage wieder. Wie sehr sich diese aber im Laufe der letzten Jahrzehnte verändert hat, erhellt unter Anderem aus der Thatsache, daß, während früher alle Welt mit Spannung erwartete, was wohl in Paris als Orakel verkündet werden würde, jetzt die Vorgänge, die sich am 1. Januar in der französischen Hauptstadt abspielen, nur ein untergeordnetes Interesse beanspruchen. Zwischen dem päpstlichen Nuntius als dem Wortführer des bei dem Präsidenten der französischen Republik beglaubigten diplomatischen Corps und Herrn Carnot fand auch diesmal ein Austausch von Ansprachen statt, von denen diejenige des französischen Staatschefs ganz besonders aus die Bestrebungen, den Frieden und die internationale Eintracht zu wahren, Gewicht legte. Nicht minder entschieden betonte der Präsident der französischen Republik die zuversichtliche Erwartung, daß die Regierungen in dem nunmehr begonnenen Jahre, das er als ein hoffentlich friedliches und fruchtbringendes bezeichnte, sich ungestört den wirthschastlichen Interessen und den socialen Aufgaben widmen könnten, die sich ihrer Fürsorge immer dringender empfehlen. Allerdings faßt das französische Gouvernement, falls nicht alle Anzeichen trügen, die „wirthschastlichen