308
Deutsche Rundschau.
bulgarischen Regierung Schwierigkeiten zu bereiten suchte. Nun stellt sich aber heraus, daß die öffentliche Meinung in Rußland keineswegs das richtige Verständniß sür das Verhalten Frankreichs besitzt; ja, es werden vielfach Stimmen laut, die zum Theil den Abbruch der diplomatischen Beziehungen von Seiten der Republik als eine Uebereilung bezeichnen, zum Theil sich in dem Sinne vernehmen lassen, daß Frankreich nicht so sehr das russische wie das eigene Interesse im Auge hatte, als es aus der Ausweisung des französischen Correspondenten einen diplomatischen Zwischenfall machte. In Frankreich selbst ist man allem Anscheine nach nunmehr zu der Ueberzeugung gelangt, daß es besser ist, den eigenen Vertreter, Herrn Lanel, auf seinem Posten zu lassen. Andernfalls würde die Republik in die Lage gebracht, mit der Wahrung der französischen Interessen den diplomatischen Vertreter Großbritanniens oder gar denjenigen einer der Mächte der Tripelallianz zu betrauen. Hierzu kommt, daß wie Frankreich auch Rußland, das keinen osficiellen eigenen Agenten in Sofia zur Verfügung hat, sehr dabei interessirt ist, die Vorgänge in Bulgarien aus der Nähe kennen zu lernen- Diesem Zwecke diente nun auch der diplomatische Vertreter der französischen Republik. Alles dies mußte sich der Wahrnehmung der französischen Regierung in so klarer Weise aufdräugen, daß Herr Lanel thatsächlich seinen Posten bisher nicht verlassen hat. Sollte aber die Entscheidung der Pforte abgewartet werden, so darf jetzt bereits als sicher gelten, daß eine Genugthuung in der Richtung, daß die Ausweisung des Correspondenten Chadourne rückgängig gemacht werde, keineswegs in Aussicht steht. Darf die bulgarische Regierung sich doch mit vollem Rechte darauf berufen, daß gerade von russischer Seite in früherer Zeit zu wiederholten Malen die Ausweisung russischer Nihilisten aus dem bulgarischen Gebiete gefordert wurde, woraus doch deutlich erhellt, daß das selbständige Recht, solche Maßregeln zu ergreifen, in vollem Maße anerkannt wurde. So ist die französische Regierung thatsächlich in eine „impa^eZ eine Sackgasse gerathen, aus der sie um so schwerer herauskommen wird, als der Minister des Auswärtigen, Ribot, bei Gelegenheit einer Interpellation über die bulgarischen Vorgänge in der Deputirtenkammer die in solchen Fällen üblichen energischen Erklärungen abgegeben hat. Sehr bemerkenswerth ist, daß in der Sitzung, in der diese Erörterungen stattfauden, es dem Abgeordneten Grafen Douville-Maillefeu Vorbehalten blieb, sür den gesunden Menschenverstand einzutreten, indem er Bulgarien und dessen leitenden Minister Stambulow gegen die gehässigen Angriffe in Schutz nahm, die der ausgewiesene Chadourne geflissentlich verbreitet hatte. Mögen nun die französischen Blätter immerhin darauf Hinweisen, daß der Deputirte Douville-Maillefeu im Parlamente nicht ernsthaft genommen werde, so durfte dieser doch mit Recht hervorheben, daß er das einzige Kammermitglied sei, das die bulgarischen Verhältnisse aus eigener Anschauung kenne. In Frankreich spielen aber augenblicklich die Rücksichten auf Rußland eine fo bedeutsame Rolle, daß das Vorgehen der Regierung in dem Falle Chadourne zunächst allgemeine Billigung fand.
Nur stellte sich eben sehr bald heraus, daß in Rußland die eigenen Interessen anders aufgesaßt wurden. Eine Zeitlang konnte es allerdings scheinen, als wollte man in Rußland das Ergebniß des von französischer Seite auf die Pforte ausgeübten Druckes abwarten. Sobald sich jedoch herausstellte, daß in dieser Richtung wenig Aussicht auf Erfolg wäre, wurde die Kritik des „voreiligen" Verhaltens Frankreichs immer lauter. Den Versicherungen gegenüber, daß die Republik nicht bloß die eigene Würde, sondern auch das Interesse Rußlands gewahrt, als sie die bulgarische Regierung in ihre Schranken gewiesen habe, betonten russische Organe sogar, daß es sich für Frankreich um etwas ganz Anderes gehandelt haben könnte. In diesem Zusammenhänge wurde von russischer Seite darauf hingewiesen, daß die französische Regierung in Wirklichkeit die ägyptische Angelegenheit ins Auge faßte, als sie die bulgarische Streitfrage aufwarf. War doch von französischen Blättern hervorgehoben worden, daß, was die bulgarische Regierung jetzt ohne Rücksicht auf die Suzeränität der Pforte unternommen habe, demnächst von Aegypten unter der mehr oder minder verhüllten Zustimmung Englands unternommen werden könnte. Die Ironie, die in diesen Vor-