Heft 
(1892) 70
Seite
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Politische Rundschau.

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gängen liegt, muß jedem unbesaugenen Beurtheiler einleuchten. Frankreich will für Rußland in Bulgarien die Kastanien aus dem Feuer holen und wird dasür eigen- thümlich genug mit der Insinuation belohnt, daß es sein eigenes Interesse betreibe und nicht so sehr die bulgarische Angelegenheit zu Gunsten des Zarenreichs fördere, wie dieses aus Anlaß des Falles Chadourne für die Lösung der ägyptischen Frage anspannen wolle.

Eine Zeitlang konnte es scheinen, als ob diese durch den Tod des Vicekönigs Tewfik Pascha in eine neue Phase gelangt wäre. Zunächst darf daran sestgehalten werden, daß die englische Verwaltung bei Lebzeiten des nunmehr am 7. Januar Hin­geschiedenen Chedive sich in vollem Maße bewährt hat, so daß vom Gesichtspunkte der weiteren friedlichen Gestaltung der Verhältnisse in Aegypten die Fortdauer des gegen­wärtigen Zustandes gewünscht werden muß. Jeder Zeitungsleser weiß noch, wie die ägyptische Militärpartei unter Achmed Arabi im Beginne der achtziger Jahre Revolten inscenirte und in ihrem Sinne sogenannte Reformen von dem wenig energischen Chedive Tewfik Pascha erzwang, wie der im Februar 1882 zum Kriegs­minister ernannte Arabi Pascha die Beseitigung der europäischen Finanzcontrole und die Entfernung der europäischen Beamten überhaupt anstrebte, wie er sich als Chef der ägyptischen Nationalpartei proclamirte und den Pöbel zu den blutigen Juniausschreitungen in Alexandria ausreizte, die dann zur Intervention der englischen Flotte unter dem Oberbefehle des Admirals Seymour und zum Bombardement der ägyptischen Hafenstadt den Anlaß boten. Nachdem die Engländer unter General Wolseley ein Landheer nach Aegypten geschickt hatten, gelang es, das ägyptische Heer unter Arabi Pascha vollständig zu besiegen, woraus Tewfik Pascha als Chedive wieder eingesetzt wurde, ohne jedoch von jenem Zeitpunkte an in gewissem Sinne etwas Anderes zu sein als ein Scheinregent. Der Ausstand des Mahdi im Sudan trug ebenfalls dazu bei, das Ansehen des Chedive zu verringern. Dagegen gelang es der englischen Regierung, die ägyptische Finanzverwaltung in einer dem Lande durchaus förderlichen Weise zu reformiren, so daß, nachdem im Jahre 1885 unter Bürgschaft der Mächte eine Anleihe zu Stande gekommen war, in demselben Jahre bereits ein Ueberschuß im ägyptischen Staatshaushalte erzielt wurde, der sich in den folgenden Jahren noch erheblicher gestaltete. War alle Welt mit Ausnahme Frankreichs und Rußlands mit dieser Entwicklung der ägyptischen Verhältnisse einverstanden, so durften die Engländer, so oft die Franzosen die Räumung Aegyptens verlangten, mit Recht daraus Hin­weisen , daß die Sicherheit des Landes und die den Gläubigern Aegyptens gegebenen Garantien ihr Verbleiben erheischten. Auch konnten die Franzosen sich nicht dar­über beklagen, daß sie aus dem Lande verdrängt worden wären, um das sie sich durch die von Lesseps geleitete Erbauung des Suezcanals unleugbar große Verdienste erworben haben. Trugen doch die Franzosen ausschließlich die Schuld, wenn sie auf maßgebenden Einfluß in Aegypten verzichten mußten; denn Gambetta und seine Partei­gänger waren es selbst, die die von Freycinet im Jahre 1882 für die Beschützung des Suezcanals geforderten Kredite ablehnten. Auf diese Thatsachen muß aber jetzt aus Anlaß des Hiufcheidens Tewfik Pascha's von Neuem hingewiesen werden, weil von französischer Seite die Legende gepflegt wird, daß die Engländer den französischen Einfluß in Aegypten in rücksichtsloser Weise verdrängt haben, während auf die Fran­zosen in diesem Falle weit eher das Wort ihres großen Komödiendichters Anwendung finden darf: Vous l'ave? voulu, Osorgs vanckin!

Auch daran erinnert man sich Wohl noch, daß die Engländer im Jahre 1887 mit der Pforte einen Vertrag vereinbarten, laut welchem sie sich bereit erklärten, Aegypten drei Jahre nach der Ratification des Vertrages zu räumen, mit der Maß­gabe, daß die commandirenden Oificiere dann noch zwei Jahre auf ihrem Posten bleiben sollten. Aegypten sollte nach Ablauf dieser Gesammtfrist von fünf Jahren für un­antastbares Gebiet erklärt und nur im Falle einer dringenden Gefahr von englischen und türkischen Truppen besetzt werden. Dieser Vertrag ist jedoch gerade in Folge der diplomatischen Intervention Frankreichs und Rußlands von der Pforte nicht ratificirt