Heft 
(1892) 70
Seite
312
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Literarische Rundschau.

Ernst Curtius' Stadtgeschichte von Athen.

Die Sstadtgeschichte von Athen. Von Ernst Curtius. Mit einer llebersicht der Schriftquellen zur Topographie von A. Milchhoefer. Mit 7 Kartenblättern, gezeichnet von I. A. Kaupert, und 32 in den Text gedruckten Abbildungen. Berlin, Weidmann'sche Buchhandlung. 1891.

Wie Alles sich zum Ganzen webt,

Eins in dem Andern wirkt und lebt!

Es ist mir die Ehre zugefallen, ein Werk von ganz ungewöhnlicher Bedeutung bei den Lesern derDeutschen Rundschau" einsühren zu dürfen.Das Buch, das ich den Freunden des Alterthums übergebe, ist eine Topographie Athens vom geschicht­lichen Standpunkte," so hebt der Verfasser an und beginnt seine Betrachtung mit der Stadtlage. Eine mäßig große Ebene, an drei Seiten von Bergzügen umschlossen, öffnet sich nur dem Meere zu gastlich und bequem. Ein unvermittelt aussteigender Hügelzug theilt sie, wie ihre Wasser und wirst, etwa eine Stunde von der Küste, mehrere Bodenwellen aus, welche durch natürliche Festigkeit, durch gesunde Lage und durch die mannigfach ertragreiche Umgebung gerade in sehr alten Zeiten Ansiedler besonders locken mußten. Curtius hat ihre Spuren von jeher in den zahlreichen Hausplätzen, Cisternen, Altären u. s. f. gesehen, welche in den lebendigen Felsen der südwestlichen Erhebungen Athen's eingeschnitten sind, und er hat den einstigen Be­wohnern den uralten Namen athenischer Tradition, der Kranaer gegeben. Aus der Burghöhe aber hausten die Kekropiden mit ihrem Hauptgotte, dem Zeus Polieus; dann treten an ihre Stelle die Verehrer der Athena, die Erechthiden, und von der Küste kommen die übers Meer gefahrenen Ionier mit ihrem Apollo herauf. Aus allen diesen Elementen wächst zusammen die älteste Stadt Athen, deren Geschlechter im Süden der Akropolis, in Kydathen wohnten, wie schon Thukydides aus den uralten heiligen Stätten jener später mehr verödeten Gegend erschloß. Auch eine ursprüngliche Sprödigkeit der binnenländischen Ansiedlung gegen Meer und Küste war durch das jonische Element überwunden worden.

Eine Reihe großer Staatsmänner, voll tiefer Einsicht in das Wesen ihrer Stadt, hat diese alsdann immer höheren Zielen zugesührt; es ist dieser Weg, den wir mit Curtius wandeln, wie er in Anlagen, Gründungen, Denkmälern, Festen aus dem Stadtboden und gerade im engen Anschluß an diesen seinen Ausdruck gesunden hat. Vorgezeichnet ward die Entwicklungsbahn durch Peisistratos und die Seinen; in natur­gemäßer Stetigkeit ist sie alsdann immer weiter auswärts gestiegen. Die Thätigkeit der Peisistratiden ist in gleicher Weise Göttlichem wie Menschlichem zugewendet: wie sie oben aus der Burg das Haus der immer mehr zur Stadtgöttin gewordenen Athene architektonisch und plastisch auszieren, so geben sie den Bürgern unten und in der