Literarische Rundschau.
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Landschaft Straßen, Wege und Wasser; ja, sie verlegen den Schwerpunkt des Verkehrs, den Markt, aus dem vornehmen Viertel im Süden der Burg nach dem Norden, mitten hinein in den Kerameikos, das Quartier der Bürger und Handwerker; und diese Verschiebung ist auch hier ein politisches Symptom von handgreiflicher Bedeutung, gleichsam Vorgreisend dem, was allmälig emporgewachsen ist und schließlich der Tyrannis selber ein Ende bereiten muß, dem zur Freiheit gereisten Bürgerthum. Die Neugliederung aller Landesbewohner in Stämme und Gaue, wie sie bald nach den Peisistratiden stattsand, machte dem Sonderleben und den Sonderinteressen der älteren Geschlechts- genossenschasten ein Ende; Stadt und Landschaft sind endgültig mit einander verschmolzen.
Durch die harte Prüfung der Perserkriege ward Athen gleichsam erst seiner vollen Kraft und Art sich bewußt. Wäre es nach dem Themistokles gegangen, so würde damals der alte Wohnsitz verlassen, ein neuer an den unvergleichlichen Häfen, ein Seeathen entstanden sein, und es ist nicht zu leugnen, im Sinne der damals erreichten Entwicklung und Zeit wäre eine solche Lösung gewesen; aber doch nicht im Sinne der Alten, denen das Ausgeben eines angestammten Wohnplatzes immer als etwas besonders Bitteres erschienen ist. Auch die Römer haben einst, nach dem Einsall der Gallier, vor einer gleichen Alternative ebenso gewählt wie die Athener. Diesen hat dann Kimon ihre alte Stelle aufs Neue lieb gemacht mit den edelsten Mitteln: wie er die Burg ummauert, dort oben einen gewaltigen Tempel der zugleich mit ihrem Volke emporsteigenden Göttin anlegt, so macht er der Bürgerschaft ihren Boden wohnlicher, behaglicher, schöner als je zuvor. „Fontänen sprudelten im Kerameikos, Platanen beschatteten ihn, und Marmorhallen erhoben sich, welche den Bürger mit gerechtem Hochgefühl erfüllten- Was von den Inseln herüberkam, erkannte hier eine ausblühende Reichshauptstadt. Aus den Siegen erwuchsen die Siegesdenkmäler, welche der Gemeinde die Ehre gaben."
Durch Perikles ist das Programm nicht, wie man Wohl meint, verändert, sondern lediglich erweitert worden: Athen sollte die erste Stadt in Hellas werden. Die Burg ward jetzt mit ihren Tempeln und Einzelstiftungen ein zusammenhängendes Kunstwerk, wie es so der gesäulte Festeingang der Propyläen auch weithin leuchtend für das Auge zusammenfaßte. Kauf- und Staatsmarkt wurden geschieden; vor den Thoren erwuchsen die Grabstätten Zu historischen Ehrenplätzen, Gymnasien und Ringschulen Wurden die liebsten Verkehrsptätze; die Verbindung von Stadt und Hafen durch die langen Mauern wurde zum Abschluß gebracht. Eine Thätigkeit ohne Gleichen, besonders deswegen, weil so viele durch sie geschaffene Werthe unsterblich geworden sind; die Zeitgenossen konnten noch nicht den rechten Maßstab für so übermächtige Leistungen finden, die Späteren nur staunen, daß scheinbar Ewiges in so kurzem irdischen Zeitraum ausgeführt worden.
Schon während des Peloponnesischen Krieges ist jeder vorübergehende Augenblick der Ruhe wiederum der Ausstattung von Burg und Stadt zu Gute gekommen; so sehr war solche Betätigung das eigentliche Lebenselement der Athener; in einem Aphroditetempel im Piräus fanden Konon's Erfolge zur See ihren Ausdruck. Etwa um dieselbe Zeit aber wurde in aller Stille, seitab des städtischen Getriebes, der Keim zu einer neuen Großmacht gelegt, als draußen vor den Thoren die „Akademie" den Musen geweiht und zum Studiensitz gewählt ward von einer neuen, an Sokrates erwachsenen Menschenart, die nicht oder doch noch nicht in die Stadt paßte. Denn noch sind die staatlichen Interessen weitaus die ersten, ja „dem Lykurg ist es gelungen, die große Aufgabe, für welche Demosthenes als Märtyrer gefallen, die sittliche Erhebung der Gemeinde, in friedlicher Verwaltung, eine Zeitlang glücklich durchzusühren. Er ist der Vermittler zweier großen Epochen. Er hat die Geschichte des alten Athen's abgeschlossen, indem er die Kräfte der Republik noch einmal sammelte und sie in peri- kleischem Geiste leitete, zugleich aber auch klar erkannte, was unter allen Wechsel- sällen der Staatenverhältnisse die bleibenden Güter seiner Vaterstadt waren."