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Deutsche Rundschau.
Von den Kämpfen der Diadochenreiche ist Athen durchaus nicht unberührt geblieben, aber schon sängt es an, einem wunderbar begabten Königskinde zu gleichen, dem Alle huldigen. Schon beginnen die durch die Vorfahren geschaffenen geistigen Werthe praktisch zu wirken und die thatkrästige Theilnahme der Menschen zu Wecken, wie sie es wieder gethan bei der großen Erhebung der Griechen in unseren Jahrhundert und bis aus den heutigen Tag, ein erhebendes Zeugniß für die Macht des Idealen und der Idee.
Es ist bedeutungsvoll für den Umschwung der Zeit, daß ein Ptolemaios einen nach ihm benannten Studiensitz schon mitten in die Stadt legte; die Pergamenischen Fürsten aber schmückten mit aufwändigen Hallen den Südfuß der Burg und den Markt, der im Norden der Burg nunmehr noch weiter nach Osten verschoben ward, gleichsam fort von den Stellen, die immer an die staatliche Selbständigkeit und Großzeit erinnern mußten. Endlich Rom, das, wie auf so vielen Gebieten, auch Athen gegenüber ins Erbe dessen eingetreten ist, was die hellenistische Zeit hat werden lassen. Athen war eine gegebene Größe geworden, die nicht wie irgend ein beliebiger Ort behandelt werden konnte. Durch keinen der römischen Herrscher ist dies so lebendig zum Ausdruck gekommen, wie durch Hadrian, der in seiner alterthümelnden Weise Athen wiederum zum Mittelpunkt einer weit ausgedehnten „panhellenischen" Vereinigung erklärte. Keine Gefahr mehr, daß der Schein der Großmacht ernst genommen wurde. Athen war eine stille Stadt geworden; gern zogen sich die Römer hierher zurück, in das anmuthige Gegenbild ihrer überlauten Weltstadt, zu den Quellen dessen, was als vollendete, feinste Bildung galt. Die philosophischen llnterrichtsanstalten, im zweiten Jahrhundert auf den römischen Staat übernommen, gaben einzig dem städtischen Leben Inhalt und Wohlstand, bis sie spät, nach drei bis vier Jahrhunderten, als eine dem neuen erstarkten Glauben besonders antipathische Hochburg heidnischer Weisheit geschlossen wurden. Damit erlosch Athen bis beinahe in unsere Zeiten; oder sollen wir nicht vielmehr sagen, daß unsere Augen wieder sehend wurden für den unvergänglichen Glanz Athen's? Es gehört zu den schönsten und beruhigendsten Gefühlen, zu merken, daß es ewige Lichter gibt, die nie erlöschen, und die es nicht angeht, wenn auch die Menschheit eine Zeitlang gegen sie erblindet.
Ueberblicke ich meine Worte, so erscheinen sie mir gar dürftig, wenn ich sie mit dem Gemälde vergleiche, das Ernst Curtius entworfen hat; allein wie soll man auch ein solches in's Kleine ziehen, dessen Hauptvorzug und Hauptreiz gerade in der Fügung so unzähliger einzelner Züge besteht? Züge, die aus allen Gebieten antiken Lebens entlehnt, zu einem harmonischen Ganzen verarbeitet sind, scheinbar mühelos, wie es dem Meister zukommt. Man sagt wohl, daß etwas so Wunderbares, wie das Erfassen des Werdens der Dinge und die Fähigkeit, ein Ganzes außer sich hinzustellen, nur einzelnen Menschen gegeben sei, denen die Kraft des Schauens verliehen ward; aber man vergesse nicht, daß diese Kraft doch nur bei solchen in die Erscheinung tritt, die zuvor sich hindurchgearbeitet durch die einzige Pforte, welche zu dauerndem Erfolge aufgethan ist, durch die Treue im Kleinen. Ernst Curtius hat am Ende seines Buches eine Reihe von denen genannt, die in neuerer Zeit an der Wiederentdeckung Athen's gearbeitet, aber er hat dabei den Namen eines Mannes verschwiegen, den nachzutragen unsre Pflicht ist, da er Allen voran, seit einem halben Jahrhundert unablässig um jene einzige Stadt sich bemüht hat: dieser Mann ist er selber. Seit er am 22. December 1841 mit einer Schrift über die Häfen Athen's die Doctorwürde erworben, ist die Stadt im Mittelpunkte seiner Studien geblieben; es ist ihm die hohe Freude beschieden worden, seine Erfolge mit seinen Bemühungen immer wachsen zu sehen: ist es doch auch ihm zu danken, daß Attika nunmehr fast vollständig durch Officiere unsres Großen Generalstabes mit all der Genauigkeit ausgenommen ist, welche einer der denkwürdigsten Schauplätze menschlicher Geschichte verdient. Auch die dem vorliegenden Bande beigegebenen Karten, die von Herrn Kaupert herrühren, sind wahre topographische Gemälde. Herrn Milchhöser aber, der im ersten Theile die antiken Schriftquellen zur Topographie Athen's im Wortlaute zusammengestellt hat, möge das Be-