Architektur und Wajtik').
Von
Ernst Curtius.
Seitdem der Plan gefaßt war, aus Reichsmitteln ein Gebäude herzustellen, in dem die Abgeordneten des endlich zu einem Ganzen vereinten Volks tagen sollten, war in vielen Kreisen der Gedanke lebendig, daß das neue Volkshaus in seiner monumentalen Ausstattung von der glücklichen Entwicklung, welche unter Gottes gnädiger Führung das Vaterland gewonnen hat, ein vollgültiges Zeugniß ablegen solle, und je höher wir jetzt den Prachtbau aufsteigen sehen, um so lebendiger ist unser Aller Wunsch, daß es von innen und außen sich so gestalte, daß es unfern von Vaterlandsliebe erwärmten Ansprüchen voll entspreche. Es handelt sich also nicht bloß darum, daß der Bestimmung der Räume in zweckmäßiger und würdiger Weise genügt werde, sondern daß ein Werk zu Stande komme, in welchem die Früchte deutscher Bildung und Kunst zu voller Entfaltung gedeihen. Dazu gehört aber, daß die bildenden Künste Zusammenwirken, nicht bloß äußerlich neben einander hergehend, sondern innerlich verbunden, eine die andere ergänzend und belebend. Unwillkürlich wenden sich also unsere Gedanken der Betrachtung zu, wie in vergangenen Zeiten zur Ausstattung öffentlicher Gebäude die verschiedenen Künste, namentlich Plastik und Architektur, sich mit einander verbunden haben. Denn so wenig auch die Wissenschaft darauf ausgehen kann, den Genius der Künstler zu leiten, ebenso verkehrt wäre es, die beiden Richtungen menschlicher Geistesthätigkeit, die betrachtend forschende und die schöpferisch werkthätige, durch eine Scheidewand trennen zu wollen. Dies wird ja auch auf keiner Seite beabsichtigt. Denn warum ziehen sonst unsere Künstler Jahr aus Jahr ein nach Rom und Athen, wenn sie nicht in aufmerksamer Betrachtung des Vorzeitlichen immer neue Anregung zu selbständigem Schaffen suchen?
Alle Leistungen echter Kunst haben den gemeinsamen Endzweck, das Geistige im Körperlichen, das Unsichtbare im Sichtbaren zum Ausdruck zu bringen.
i) Rede zur Feier des Geburtstages Seiner Majestät des Kaisers und Königs in der Aula der Königlichen Friedrich-Wilhelms-üniversität am 27. Januar 1892.