Das Wachsthum der Energie in der geistigen und organischen Welt.
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veranlaßt sein, welche alte Erinnerungsbilder im Bewußtsein erwecken; aber wenn wir mit bestimmtem Willen unsere Gedanken aus ein Ziel richten, wenn wir nach früheren Erkenntnissen suchen und sie im Zusammenhang unseres inneren Lebens finden, da tritt die Subjectivität herrschend auf; sie waltet im Erinnern, das ein Wiedererkennen und ein Urtheil ist. Wenn wir Worte hören und verstehen, so ruft der neue Eindruck nicht bloß früher gehörte Lautbilder wach, sondern wir erfassen auch den Sinn, der mit ihnen verknüpft ist, und erkennen, daß das neue Wort ein früher gehörtes und verstandenes ist; wir vergleichen die neuen und die alten Lautbilder mit einander; das thun sie nicht selbst, wir erkennen eins am anderen. Die Thätigkeit unseres Aufmerkens auf das Gehörte oder Gesehene verleiht ihm den klaren Eingang in unsere Innerlichkeit, und der logische Zusammenhang, in den wir das Neue mit dem Alten bringen, bedingt die Möglichkeit leichter Erinnerung. Wir haben Gedächtniß für das, worin wir productiv sind, der Musiker für Melodien, der Maler für Linien und Farben. Und mag das Deliriren sich nach der Art und Weise gestalten, wie die Molecular- bewegungen des Gehirnes sich vollziehen, unser zielbewußtes Denken unterscheidet sich durch den logischen Zusammenhang der Worte, die wir als Träger der Gedanken aus dem Gedächtniß hervorheben und zu neuen Ideen verbinden.
Doch spricht man von einem mechanischen Gedächtniß, das uns ermöglicht, ganze Reihen von Worten, wie die eines auswendig gelernten Gedichtes zu wiederholen, ohne daß wir uns darauf zu besinnen brauchen. Solche Mechanisirung durch Einübung ist von allergrößter Wichtigkeit für uns. Unsere Muskeln vollziehen oft vorgenommene Bewegungen mit größerer Leichtigkeit und Genauigkeit, sie werden dadurch für sie gebildet, und wir können ihnen die Ausführung überlassen und unseren Sinn zugleich auf Anderes wenden. Wir können beim Lesen und Schreiben unser Bewußtsein aus die Sache, auf die Gedanken richten, während das Auge die Buchstaben und Buchstabengruppen erblickt, während die Hand die Schriftzüge gestaltet, ohne daß wir die Muskelthätigkeit mit unserem Willen zu lenken brauchen, und während wir die Buchstaben sehen, tritt un- gerufen das Lautbild und der Sinn des Wortes in unserem Denken auf. Ja, unser Denken vollzieht sich kraft dieser Mechanisirung im Gedächtnisse, wenn wir das Ganze einer intellectuellen Anschauung in die nacheinanderfolgenden Worte entfalten und fasfen, welche die Gegenstände der Vorstellungen und deren Beziehungen im Satze nach und mit den uns geläufigen grammatischen Formen aussprechen, uns selbst und Andern zu klarem Verständniß bringen.
Ich bin weit entfernt zu leugnen, daß unsere Denkthätigkeit von eigenthüm- lichen Bewegungen des Gehirns begleitet wird, daß zur Aeußerung derselben der leibliche Organismus nothwendig ist; ich zweifle nicht, daß oft wiederholte Bewegungen dem Gehirne gewohnt werden, und daß es auf den Verlauf der Vorstellungen beschleunigend oder verlangsamend einwirkt, daß es von sich aus Anschauungen anregt oder Vorstellungen mit sinnlicher Lebhaftigkeit ausstattet, wodurch sie zu hörbaren, sichtbaren Hallucinationen und Visionen werden können; aber das sie Erinnernde, das neue Eindrücke unter vorhandenen Vorstellungen Eingliedernde, das austauchende Bilder als früher geschaute Erkennende, das ist nicht ein auseinander liegendes Haufwerk stofflicher Elemente mit allerhand Spuren