Heft 
(1892) 70
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Deutsche Rundschau.

und Resten, sondern das ist die Subjectivität, unsere seelische Innerlichkeit. Wir ersassen uns als Einheit in der Fülle unserer Empfindungen und Vorstellungen, und zwar nicht als deren Ergebniß, sondern als deren bildende Macht; wir er­fassen uns als das Dauernde im Wechsel unserer Zustände und Bethätigungen, und wir können von einem Wechsel derselben nur reden, weil wir nicht von dem Wechsel ihrer Bewegungen fortgesührt und selber ein Anderes werden, sondern vielmehr uns während ihres Kommens und Gehens erhalten und sie zugleich be­halten. Nur indem uns das Vergangene gegenwärtig bleibt, können wir das Neue von ihm unterscheiden und überhaupt den Zeitbegriff bilden, Vergangen­heit und Zukunst in der Gegenwart verbinden. Das Nebeneinander, das Nach­einander, wie Raum und Zeit es ausdrücken, herrscht in der Außenwelt, in der Innenwelt waltet das Ineinander; unser Denken ist Fühlen und Wollen, unser Wollen ist stets vom Gefühl getragen, von Vorstellungen bestimmt, und unser ganzes früheres Leben ist in der Gegenwart lebendig, bedingt unsere Entschlüsse, bildet Inhalt und Tragweite unseres Erkennens, und so ist das Wesen des Geistes sich selbst bestimmende Thätigkeit, und unsere Freiheit fortwährende Befreiungsthat.

Alles Leben ist Entwicklung, ein Werden, das sich von der bloßen Ver­änderung dadurch unterscheidet, daß es von innen bedingt ist und daß seine Momente in causalem Zusammenhänge stehen. Entwicklung ist dem Begriff und Worte nach Gestaltung von innen heraus, und wenn schon mit jeder Be­wegung ihre Richtung und ihre Geschwindigkeit mitgesetzt ist, so hat um so mehr die Entwicklung ihr Ziel; es ist der Zweck, der ihren Weg und ihr Bildungs­gesetz bestimmt; vom Zweck, dem ansgebildeten Organismus aus, werden die Wechselnden Gestaltungsvorgänge vom Ei, vom Samen an bis zum freibewegt empfindenden Thiere oder der blühenden Pflanze verständlich, sinnvoll, und er­hält die Frage nach den chemischen Elementen, den physikalischen Kräften und Gesetzen jener Bildungen selbst ihren Ausdruck, der ein planmäßiges Forschen möglich macht. Das erreichte Ziel ist die Verwirklichung der ursprünglichen Anlage. In der Entwickelung geschieht etwas; sie ist Geschichte, kein bloßes Ab­spielen des in den Stiftchen der sich drehenden Walze bereits fertigen Musik­stückes, wie wenn etwa das vielgliedrige Thier ganz klein im Ei vorhanden wäre; sie vollzieht sich in der Wechselwirkung mannigfacher Naturkräfte, die vom Lebens- princip herangezogen und verwandt werden, wodurch das Wesen sich entfaltet und selbst verwirklicht.

Blicken wir nun zurück auf den ganzen Naturproceß, wie ihn das Gesetz von der Erhaltung der Energie zugleich so wundermächtig und so einfach groß erscheinen läßt, geschieht in ihm wirklich etwas? Es sind dieselben Elemente, welche Verbindungen eingehen und auflösen, dieselben Bewegungen, die als Stoß, Wärme, Licht, Elektricität empfunden werden; sie bleiben und sind, was sie waren vor und nach den gegenwärtigen Zuständen, und wären Werth- und bedeutungs­los, wären so gut wie gar nicht da, wenn sie nicht empfunden und vorgestellt Würden, wenn sie nicht Lebensacte der fühlenden Innerlichkeit erregten, ich sage nicht: in solche ausgelöst oder umgesetzt würden, denn dann wären sie ja in der Außenwelt nicht mehr vorhanden, und würde der Naturmechanismus überall durchlöchert, Bewegung in der Außenwelt überall da vernichtet, wo Em-